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5) Gott steuert menschliches Denken und Wollen: die Seinen kommen freiwillig

Gott beeinflusst des Menschen Gefühle, seine Umgebung, seine Gewohnheiten, seine Wünsche, Motive usw. so, dass sie ganz frei das tun, was Er beabsichtigt. Wie er das tut, ist zwar undurchschaubar, doch nichtsdestoweniger real, und nur weil wir mit unserem begrenzten Verstand nicht durchschauen können, wie sein Einfluss dabei die menschliche Freiheit bestehen lässt, heißt das noch lange nicht, dass er diesen Einfluss nicht auf die von uns geschilderte Weise ausüben kann.

Wir wissen allerdings, dass Gott souverän ist, genauso wie wir auch wissen, dass der Mensch frei ist. Beides wirkt in Harmonie zusammen. Paulus pflanzte, Apollo begoss, doch es war Gott, wer das Gedeihen schenkte. Paulus befahl den Philippern: »Bewirkt eure Seligkeit mit Furcht und Zittern«, fügte aber sofort hinzu: »denn Gott ist es, der beides wirkt: das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen« (Phil. 2,13f.).

Der Psalmist sagt: »Dein Volk wird voller Willigkeit sein am Tage deiner Macht« (Ps 110,3). Die Handlung der Geschöpfe ist zum großen Teil schon durch die gottgegebene »Natur« vorherbestimmt. Wenn er einem Geschöpf menschliche Natur verleiht, wird es handeln wie ein Mensch, erschafft er ein Pferd, dann handelt auch dieses Geschöpf seiner Natur gemäß. Das gilt freilich auch für die Pflanzenwelt. Es ist ja klar, dass der Mensch nicht dazu geschaffen worden ist, auf allen Vieren zu gehen oder zu wiehern wie ein Pferd. Eine Handlung ist dann unfrei, wenn sie von außen bestimmt wird, sie aber ist frei, wenn sie von innen bestimmt wird, und das ist ganz genau die Art, wie Gott den Menschen vorherbestimmt hat. Der umfassende Beschluss Gottes sichert die menschliche Freiheit. Er bestimmt den Charakter des Menschen; er hat bestimmt, dass seine Umgebung Auswirkungen auf ihn hat, dass die Einflüsse, denen er ausgesetzt ist, ihn bedingen, dass er von inneren Affektionen angetrieben wird, von Wünschen, Gewohnheiten usw. In all dieser ihn umgebenden und durchdringenden Welt trifft er seine Entscheidungen aus freier Vernunft heraus. Es ist gewiss, dass seine Entscheidung immer zugunsten einer Sache und zuungunsten einer anderen fallen wird. Gott, der die Ursachen aller Dinge kennt und steuert, weiß genau, welche Wahl ein Mensch unter gegebenen Umständen treffen wird und bestimmt so diese Wahl im Voraus. Zanchius hat diesen Gedanken sehr klar ausgedrückt, wenn er zur Freiheit des Menschen bemerkt:

»Der Mensch handelt vom ersten bis zum letzten Augenblick seines Lebens (ob er das nun weiß oder nicht, ob er das plant oder nicht) ganz nach der Absicht und den Beschlüssen Gottes; dennoch fühlt er keinerlei Zwang, sondern handelt frei und freiwillig, so als ob er sein eigener Herr wäre.«182182     Quelle nicht angegeben.

Luther hat gesagt:

»Sowohl gerechte als auch böse Menschen handeln ganz nach dem Beschluss Gottes; sie werden nicht von außen dazu gezwungen, sondern handeln ganz freiwillig.«183183     Quelle nicht angegeben.

In Übereinstimmung mit dem Gesagten glauben wir, dass Gott eine bis in die kleinste Einzelheit wirkende Vorsehung über sie walten lassen kann, ohne ihre Handlungsfreiheit in irgendeiner Weise zu zerstören oder zu beeinträchtigen. Er kann durch seinen Heiligen Geist auf dieser Basis erreichen, dass sich seine Erwählten Christus zuwenden werden und in seinen Diensten bleiben werden. Wir glauben allerdings, dass niemand dieses Verlangen nach Christus hat, außer jene, denen Gott dieses Verlangen schon vorher eingestiftet hat und dass er es einzig seinen Erwählten einstiftet. Obgleich seine Erwählten auf diese Art geneigt gemacht werden, handeln sie so freiwillig wie irgend jemand, den man zu einem Spaziergang überredet oder zur Investition seines Geldes in Staatsanleihen.

Eine gute Illustration, wie Gott auf diese Weise sowohl mit seinen Erwählten als auch mit den Verlorenen handelt, gibt H . Johnson:

»Angenommen, zweihundert Menschen sind wegen eines Verstoßes gegen das Gesetz eingesperrt. Angenommen, ich träfe Vorsorge zu ihrer Begnadigung, sodass der Gerechtigkeit und dem Gesetz Genüge getan werden kann. Die Gefangenen sind frei. Die Gefängnistore werden aufgeschlossen und jedem wird versprochen, dass ihm Amnestie gewährt wird samt der Versicherung, dass er das Gefängnis verlassen kann und ein freier Mann ist, wenn er will. Nehmen wir weiter an, kein einziger Mann verließe das Gefängnis. Nun nehmen wir an, dass ich sichergehen will, dass die Amnestie auch wirksam wird und meine Bemühungen um Begnadigung nicht umsonst sind. Ich suche also einhundertfünfzig dieser schuldigen und verurteilten Männer persönlich auf und überrede sie mit sanfter Gewalt, das Gefängnis zu verlassen. Das ist Erwählung. Habe ich dann die übrigen fünfzig etwa eingesperrt lassen? Die Amnestie reichte ja aus, auch sie in Freiheit zu bringen; das Gefängnis bleibt offen, ihre Zellen ebenso; jedem einzelnen, der nach draußen geht, wird die Freiheit garantiert. Jeder im Gefängnis weiß, dass er seine Freiheit nutzen kann, wenn er will. Habe ich die fünfzig anderen eingesperrt lassen?«184184     Gelegenheitsschrift, The Love of God for Every Man.

Die alte, pelagianische Lehre, die der Arminianismus zeitweise vertreten hat, dass Lob und Tadel in Bezug auf Tugend und Laster davon abhängen, was eine Person aus eigener Kraft wählen und tun wird, führt logischerweise dazu, dass den Engeln im Himmel und auch den vollendeten Heiligen, ja selbst Gott die Löblichkeit abgesprochen werden muss, da es für Engel, vollendete Heilige und Gott ja unmöglich sei, zu sündigen.11) Damit höre die Tugend im Himmel auf, verdienstvoll zu sein, da sie keine Wahlmöglichkeit mehr voraussetzt. Der Gedanke, dass die Kraft, zwischen gut und böse zu unterscheiden, selbst es ist, die den Willen lobenswert oder tadelnswert macht, ist ein Missverständnis.185185     Diese Sicht teilt schon der Philosoph Leibniz: »Wir können von Natur aus gute und schlechte Beschaffenheiten noch loben und tadeln, wenn der Wille nicht den geringsten Anteil an ihnen hat, bei einem Pferde, beim Diamanten, beim Menschen: und wenn man von Cato aus Utica sagte, er handelte tugendhaft aus natürlicher Güte und ihm wäre es ganz unmöglich gewesen, anders zu handeln, so wollte man ihn damit nur um so mehr loben.« Theodizee, Teil 1, Felix Meiner Verlag, S. 137 (A. d. Ü.) Zwar: diese Beschaffenheit erhöht den Menschen über das Tier. Doch macht sie seinen Willen noch nicht vollkommen. So sagt auch Mozley:

»Der höchste und vollkommenste Zustand eines Willens ist der der Notwendigkeit: eine Entscheidungsmacht, die nicht auf wahrem und genuinem Willen beruht, ist schwach und unvollkommen. Es ist doch ein größeres Zeichen für einen unvollkommenen und unreifen Zustand des Willens, dass er überhaupt eine Wahl zwischen Gut und Böse treffen muss und sein Wille somit ständig in der Schwebe gehalten wird!«186186     Mozley, The Augustinian Doctrine of Predestination, S. 73.

Die gewährte Gnade, der die guten Werke mit Notwendigkeit folgen, geht in diesem Leben noch nicht mit vollkommener Umgestaltung einher, denn der wiedergeborene Mensch sündigt manchmal immer noch, doch im Jenseits greift diese Gnade voll und ganz oder eben gar nicht — die Bestimmtheit des Willens wird dann verabsolutiert, entweder zum Guten oder zum Bösen.

Vielleicht kann man das Zusammenwirken des göttlichen Handelns mit dem menschlichen mit der Inspiration der Heiligen Schrift vergleichen: Im höchsten Sinn von Gott inspiriert, haben  doch Menschen ihre eigenen Worte benützt. Es werden nicht Teile davon Gott oder den Autoren der einzelnen Bücher zugeschrieben, sondern die Schrift ist in all ihrer Ausprägung und Lehre ganz Gotteswort und Menschenwort. Obgleich die Schreiber derart vom Heiligen Geist beeinflusst waren, dass sie alles aufgeschrieben haben, was Gott wollte und sie vor jeder Fehlerhaftigkeit vollkommen bewahrt worden sind, haben sie ihre Freiheit behalten, und daher müssen wir immer beide Seiten sehen: die göttliche Seite der Schrift und die menschliche Seite. So genannte »zufällige Handlungen« oder Handlungen aus »freiem Willen« können nicht Teil eines definitiven Vorherwissens sein oder gar Teil vorherbestimmter Pläne. Es liegt in der Natur der Sache, dass derlei Handlungen vollkommen ungewiss bleiben müssen,

»so dass jeder, der an Selbstbestimmung glaubt — ob ihm das nun bewusst ist oder nicht — in Wahrheit die heidnische Göttin Fortuna anbetet und dafür die Vorsehung vom Thron stößt.«187187     Mozley; Boettner gibt die genaue Quelle nicht an.

Wenn Gott die Geister der Menschen nicht auf diese Art lenken dürfte, müsste er ja ständig damit beschäftigt sein, neue Mittel zu ersinnen, wie er all die Milliarden Einflüsse seiner Geschöpfe, die seinen Plänen zuwiderliefen, ausgleichen könne. Wenn der Mensch tatsächlich diesen freien Willen hätte, müsste Gott ja so vorgehen wie ein Mensch, der einen anderen überreden will und dabei einen bestimmten Plan befolgt. Er bräuchte aber, Falls Plan A nicht funktionierte, einen Plan B, und falls dieser auch nicht funktionierte, einen Plan C usw. Wenn die Handlungen freier Menschen unbestimmt wären, dann könnte sie Gott wahrlich nicht vorhersehen. Wie überrascht wäre er wohl über all die vielen unvorhergesehenen menschlichen Entscheidungen, und wie viel müsste er dann täglich dazulernen! Aber eine solche Ansicht entehrt Gott und ist nicht nur unvernünftig, sondern obendrein unbiblisch. Wenn Gottes Allwissenheit nicht verleugnet werden soll, dann muss zugegeben werden: Gott kennt in Wahrheit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ereignisse mögen aus unserer Sicht immerhin ungewiss scheinen; aus Seiner Sicht können sie das nicht. Dieses Argument ist dermaßen schlüssig, dass es auch allgemein zugegeben wird. Der schwächere Einwand, dass Gott nämlich manche Dinge absichtlich nicht vorherweiß, nur um die Freiheit des menschlichen Willens nicht anzutasten, findet überhaupt keinen Anhaltspunkt in der Bibel und ist auch sonst sehr unvernünftig. Ein solcher Gedanke macht Gott zum Vater einiger ziemlich schlimmer Buben, vor denen er sich aber versteckt, weil er Angst hat, er könnte sie bei einem Tun erwischen, das ihm ganz und gar nicht gefiele. Wenn Gott durch eine äußere Kraft oder auch durch eigenes Handeln begrenzt werden könnte, dann sprechen wir nicht mehr von einem unendlichen Gott.

Die arminianische Theorie, derzufolge Gott ängstlich darauf bedacht sei, so viele Sünder wie möglich zu bekehren, dazu aber nicht mehr als ein gewisses Maß an Überzeugungsarbeit leisten könne, ohne die Natur seiner Geschöpfe zu verletzen, gleicht allzu sehr jener persischen Religion der zwei Prinzipien von Gut und Böse, die miteinander im Kampf liegen und von denen keine die andere überwinden kann. Der »freie Wille« entreißt Ihm die Herrschaft und beraubt Ihn seiner Macht. Er stellt die Kreatur jenseits ihres Schöpfers und gibt ihr in gewissen Dingen ein Vetorecht gegen den ewigen Plan und Willen des Allmächtigen. Dieser »freie Wille« muss es demzufolge möglich machen, dass die Heiligen selbst im Himmel noch sündigen können und damit möglicherweise noch einmal einen solchen Aufstand im Himmel verursachen können wie schon damals, als Satan und die Engel, die mit ihm konspirierten, aus dem Himmel geworfen worden waren. Das Böse könnte damit in letzter Konsequenz irgendwann die absolute Herrschaft erlangen.


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