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11) Das Heil der Kleinkinder

Die Mehrzahl calvinistischer Theologen war jeher der Auffassung, dass Menschen, die im Kindesalter sterben, gerettet sind. Die Schrift scheint klar genug zu lehren, dass die Kinder Gläubiger gerettet sind, in bezug auf die Kinder der Heiden schweigt sie jedoch. Das Westminster-Bekenntnis sieht die Kinder der Heiden, bevor sie in das Alter der Verantwortlichkeit kommen, jedenfalls nicht der Verdammnis anheim gestellt. Dort, wo die Heilige Schrift zu einem Thema schweigt, tut es auch das Westminster-Bekenntnis. Unsere bedeutenden Theologen geben jedoch zu bedenken, dass »seine Barmherzigkeit sich über alle seine Werke erstreckt« (Ps 145,9), ja, dass seine Gnade so weit wie möglich reicht; sie haben immer die liebevolle Hoffnung gehegt, dass, da diese Kinder ja noch keine eigene, persönliche Sünde begangen haben, ihnen die Erbsünde vergeben wird und sie ganz nach den evangelischen Prinzipien errettet werden.

Das war immerhin die Meinung von Charles Hodge, W. G. T. Shedd und B. B. Warfield. Bezüglich der Kleinkinder sagt Dr. Warfield:

»Ihr Schicksal ist festgelegt, ohne dass sie eine Wahl gehabt haben. Es beruht ganz auf dem unbedingten, göttlichen Entschluss, ganz ohne Einfluss ihrer Handlungen. Ihre Errettung hat die Gnade Christi erwirkt, und zwar durch die unmittelbare und unwiderstehliche Einwirkung des Heiligen Geistes vor und jenseits jeder Handlung, die sie etwa aus korrektem Willen hätten begehen können … Wenn der Tod eines Kindes von Gottes Vorsehung abhängt, dann ist es sicher, dass Gott in seiner Vorsehung dafür Sorge trägt, dass diese große Schar an seiner unbedingten Erlösung Anteil hat … Das ist nichts anderes als die unbedingte Prädestination zum Heil von Grundlegung der Welt an. Wenn auch nur ein einziges Kind gerettet wird, das gestorben ist, ohne je das Alter der Verantwortlichkeit erreicht zu haben, dann ist das ganze arminianische Prinzip ad absurdum geführt. Wenn nun alle Kinder, die in jenem Zustand sterben, gerettet werden, dann wird nicht nur die überwiegende Zahl der Geretteten, sondern die Mehrzahl der Menschheit ins ewige Leben eingehen — auf ganz unarminianische Weise.«127127     B. B. Warfield, Two Studies in the History of Doctrine, S. 230.

Es gibt nichts im Calvinismus, das uns von dieser Ansicht abhalten könnte, und solange nicht bewiesen ist, dass die Lehre von der Prädestination falsch ist und Gott diejenigen, die er schon im Kindesalter zu sich gerufen hat, nicht schon von Ewigkeit her zur Erlösung bestimmt hat, wird uns niemand von dieser Absicht abbringen.

Selbstverständlich glaubt ein Calvinist, dass die Erbsünde nicht nur die Erwachsenen vor Gott schuldig macht, sondern auch jedes Kind. Genauso wie alle anderen Söhne Adams, sind auch die Kinder schuldhaft, weil in Adam die ganze Menschheit schuldig geworden ist; Gott könnte gerechterweise alle Menschen bestrafen. Ihre Errettung entspricht aber der Realität. Sie besteht allerdings nur in der Gnade Christi und ist unverdient wie bei den Erwachsenen. Statt die Fehlerhaftigkeit und die Strafe abzuschwächen, die ihnen aufgrund der Erbsünde einwohnt, weist der Calvinismus auf die rettende Gnade Gottes hin. Die Errettung der Kinder ist bedeutend, denn sie illustriert das Prinzip der Erlösung, der Befreiung schuldiger Seelen von ewiger Pein. Und diese Erlösung ist überaus kostbar, denn sie wurde durch die Leiden Christi am Kreuz erkauft. Jene, die die Erbsünde anders beurteilen; jene, die in ihr gar keine richtige Sünde sehen, die ewige Bestrafung verdiente, schmälern auch den Schrecken, vor dem die Kinder »bewahrt« werden; konsequenterweise kann auch die Liebe, die sie Gott schulden, nicht gerade die größte sein.

Die Lehre, dass Kinder generell erlöst werden, findet seinen logischen Platz im calvinistischen System, denn die Erlösung der Seelen ist hier ganz deutlich jenseits jeglicher Bedingung des Glaubens vorherbestimmt. Weder Bekehrung noch gute Werke, seien sie gegenwärtig oder vorhergesehen, können hier maßgeblich sein. Eine solche Lehre kann im Arminianismus keinen Platz haben, auch in keinem anderen System. Darüber hinaus muss es scheinen, dass ein System wie der Arminianismus, der die Errettung von einer persönlichen und verstandesgemäßen Entscheidung des einzelnen abhängen lässt, logischerweise verlangen müsste, dass verstorbene Kinder entweder im Jenseits eine weitere »Chance« bekommen, so dass ihr Schicksal besiegelt werden könnte, oder dass sie ausgelöscht (annihilated) werden.

Zu dieser Frage sagt Dr . S . G . Craig:

»Wir sehen die Sache so, dass keine Lehre, die die Erlösung der Kinder annimmt, christlich ist, wenn sie nicht gleichzeitig annimmt, dass die Kinder verlorene Mitglieder einer verlorenen Menschheit sind, für die es außer in Christus keine Erlösung gibt. Daher ist es offensichtlich, dass diese Lehre keinen Platz im römisch-katholischen oder auch anglo-katholischen System haben kann, da jene Systeme lehren, dass die Wiedergeburt durch die Taufe stattfindet. Wie viele Kinder sind aber ungetauft geblieben? Offensichtlich bietet auch das lutherische Gedankensystem keinen Platz für die Ansicht, dass alle, die im Kindesalter sterben, gerettet werden, denn dieses System legt große Bedeutung auf die Gnadenmittel, besonders die Gnadenmittel des Wortes und der Sakramente. Wenn die Gnade nur durch die Gnadenmittel erlangt werden kann —  und das ist bei ungetauften Kleinkindern ja gerade nicht der Fall — dann scheint es klar zu sein, dass die meisten, die als Kinder gestorben sind, diese Gnade nicht erlangt haben. Jetzt wird auch klar, weshalb der Arminianismus kein Recht hat, alle verstorbenen Kinder im Himmel zu vermuten; vielmehr ist es sogar unklar, inwiefern er überhaupt ein Recht hat anzunehmen, dass je ein Kind gerettet wird. Denn nach der Annahme des Arminianismus, auch des evangelischen [u. evangelikalen; A. d. Ü.] Arminianismus, hat Gott in seiner Gnade den Menschen nur die Möglichkeit zur Errettung bereitgestellt. Es scheint indes wenig glaubhaft, dass jene »Möglichkeit« zur Errettung den frühzeitig verstorbenen Kindern recht viel sollte geholfen haben.«128128     Christianity Today,  Jan. 1931, S. 14. Der »gemäßigte Arminianismus«, wie ich ihn bezeichnen möchte (etwa: Brüderbewegung oder Freikirchen pietistischer Provenienz und ähnliche) zeichnet sich m. E. nicht gerade durch konsistente Gedankensysteme aus; wenn Schwierigkeiten auftauchen, etwa die logische Inkonsistenz der Lehre, so nimmt er schon mal Zuflucht zu den »Geheimnissen«, zu den »hohen Gedanken Gottes«, zu Gottes »Unausforschlichkeit« oder zum alten Spruch vom »Stahnlassen« der Schrift. Vom Irrationalismus beeinflusst, steht der Arminianismus — ohne sich dessen freilich allzu bewusst zu sein — logischem Denken (das er »Spekulation« nennt, wenn es nicht auf seiner Linie fährt) oft äußerst skeptisch gegenüber (A. d. Ü.).

Obgleich der Calvinismus die Lehre der Taufwiedergeburt ablehnt und in der Taufe Nichterwählter nichts als eine leere Form sieht, sieht er die rettende Gnade weit über die Grenzen sichtbaren Christentums hinausgreifen. Wenn es wahr ist, dass unterschiedslos alle Kinder die rettende Gnade empfangen, dann zählt bis heute die Mehrheit der Menschheit zu den Erwählten. Darüber hinaus statuiert der Calvinismus, dass der rettende Glaube an Christus die einzige Voraussetzung für die Erlösung darstellt, soweit es Erwachsene betrifft; äußerliche Kirchenzugehörigkeit ist weder Voraussetzung noch Garantie zur Errettung. Der Calvinismus geht auch davon aus, dass viele Erwachsene, die keinerlei Verbindung zur Kirche haben, nichtsdestotrotz gerettet sein können. Jeder logisch denkende Christ wird sich gerne dem biblischen Befehl zur Taufe unterwerfen, wie er klar in der Schrift formuliert ist, und somit ein Mitglied der äußerlichen Kirche werden. Es gibt allerdings viele, die entweder aus Schwachheit des Glaubens oder auch aus Mangel an Gelegenheit diesem Befehl nicht Folge leisten wollen.

Das Westminster-Bekenntnis ist oft wegen der Formulierung angegriffen worden, die die Erlösung der Kinder betrifft:

»Die erwählten Kinder, die in ihrer Kindheit sterben, sind wiedergeboren und gerettet durch Christus«.129129     WB, Art. 10.3.

Man hat gemeint, daraus schließen zu müssen, dass die nichterwählten Kinder, die in ihrer Kindheit sterben, nach dieser Formulierung verlorengehen müssten und dass die Presbyterianische Kirche gelehrt habe, dass einige Kinder tatsächlich verlorengingen. Dazu sagt Dr . Craig:

»Die Geschichte dieses Einwandes gegen die Formulierung ›Erwählte Kinder, die in ihrer Kindheit sterben‹ macht klar, dass hier keine Polarität zwischen ›erwählten Kindern, die in ihrer Kindheit sterben‹ und ›nichterwählten Kindern, die in ihrer Kindheit sterben‹ gemacht wird, sondern zwischen Erwählten, die in ihrer Kindheit sterben und solchen, die am Leben bleiben.«130130     Boettner gibt die Quelle des Zitats nicht an. Übrigens handelt es sich bei diesem Einwand um einen formallogischen Fehlschluss: Wenn ich sage: „Alle schwarzen Kugeln aus dem Säckchen sind glatt“, dann kann man aus dieser Aussage nicht schließen, dass es auch noch andersfärbige Kugeln gibt (A. d. Ü.).

Um jedoch Missverständnissen vorzubeugen, die von Streitsucht motiviert werden, hat die Presbyterianische Kirche der USA im Jahr 1903 eine Zusatzerklärung herausgegeben:

»Unter Bezugnahme auf den 3. Absatz des 10. Kapitels des Glaubensbekenntnisses, der nicht davon handelt, dass Kinder verlorengehen können, glauben wir, dass alle Kinder, die in ihrer Kindheit sterben, von der erwählenden Gnade eingeschlossen sind und durch die Erlösung Christi und das Wirken des Geistes erneuert werden, wie, wann und wo es Ihm gefällt.«131131     Quelle des Zitats nicht angegeben.

Diesen Zusatz betreffend sagt Dr . Craig:

»Offensichtlich greift diese Zusatzerklärung über den Art. 3 des zehnten Kapitels des Glaubensbekenntnisses hinaus, insofern sie behauptet, dass alle, die in ihrer Kindheit sterben, gerettet werden. Manche glauben, dass diese Zusatzerklärung über die Schrift hinausgeht, aber wie dem auch sei, sie macht klar, dass niemand die Presbyterianische Kirche der Lehre zeihen kann, dass es nichterwählte Kinder gebe. Zweifellos hat es innerhalb der Presbyterianischen Kirche Leute gegeben, die angenommen haben, es gebe auch nichterwählte Kinder, die infolge dessen verlorengingen, aber eine solche Sicht war nie offizielle Lehrmeinung der Presbyterianischen Kirche; vielmehr widerspricht eine solche Meinung dem Glauben der Kirche.«132132     Christianity Today,  Jan. 1931. S. 14

Es wird Calvin manchmal vorgeworfen, er habe die tatsächliche Verdammnis einiger gelehrt, die während ihrer Kindheit sterben. Ein sorgfältiges Studium seiner Schriften zeigt aber die Haltlosigkeit jener Vorwürfe. Was er tatsächlich gelehrt hat, war, dass einige der Erwählten schon als Kinder sterben und auch als Kinder errettet sind. Er lehrte, dass auch Verworfene einmal Kinder waren; schließlich war er ja der Ansicht, dass die Verwerfung und die Erwählung beide von Ewigkeit her sind133133     Die Schwierigkeit derlei gedanklicher Operationen beruht weniger auf ihrer intrinsischen Komplexität, als vielmehr darauf, dass der durch raumzeitliche Kategorien bedingte Mensch über Dinge nachdenkt, die der Ewigkeit angehören und sich teilweise zwar in Raum und Zeit manifestieren, dass aber Sachverhalte der Ewigkeit nicht ohne weiteres mit raumzeitlichen Kategorien beschreibbar sind. Man darf nicht den Fehler machen, Ewiges mit Zeitlichem adäquat beschreibbar sehen zu wollen. Es ist immer schwierig — ob Calvinist oder Arminianer — über Sachverhalte der Ewigkeit anders als dogmatisch zu reden, insbesondere anders, als es die Sprache der Heiligen Schrift tut (A. d. Ü.). und die Nichterwählten schon als Nichterwählte in diese Welt kommen. Nirgendwo allerdings sagt er, dass die Verworfenen in ihrer Kindheit sterben und so verlorengehen. Freilich verwarf er die pelagianische Sichtweise, die die Erbsünde leugnet und die Errettung verstorbener Kinder auf deren angenommene Unschuld und Sündlosigkeit gründet. Dr. R. A. Webb hat Calvins Ansichten zu diesem Thema hat untersucht, und sein Ergebnis kann folgendermaßen zusammengefasst werden:

»Calvin lehrt, dass alle Verworfenen sich ihre eigene Zerstörung ›verursachen‹ (sein eigenes Wort!); sie verursachen ihre eigene Verderbnis durch ihre eigenen persönlichen und bewussten Handlungen der Gottlosigkeit, Bosheit und Rebellion. Verworfene können ihre Verderbnis nun allerdings nicht während ihrer Kindheit durch Gottlosigkeit, Bosheit und Rebellion ›verursachen‹, obgleich sie im Sinne der Erbsünde schuldig sind und ebenso unter dem Urteil der Verdammnis stehen. Sie müssen also schon die Jahre erreichen, in denen sie jene Handlungen der Gottlosigkeit, Bosheit und Rebellion verüben, die Calvin als jene Akte beschreibt, durch welche sie ihre Verderbnis herbeiführen. Wenn Calvin lehrt, es gebe verworfene Kinder, dann ist das so zu verstehen, dass er meint, auch die Verworfenen seien ja einmal Kinder, gehen aber nicht als Kinder verloren. Im Gegenteil behauptet er, dass die Verworfenen ihre eigene Verwerfung selbst herbeiführen, und zwar durch all ihre gottlosen Handlungen, durch ihre Bosheit und ihre Rebellion. Konsequenterweise zwingt ihn sein Denken (um in sich logisch zu bleiben) zu der Annahme, dass kein Verworfener während seiner Kindheit sterben kann, sondern erst mindestens das Alter moralischer Zurechnungsfähigkeit erreichen muss und die Erbsünde zur persönlichen Sünde werden lassen muss.«134134     R. A. Webb, Calvin Memorial Addresses, S. 112.

In keinem seiner Werke sagt Calvin, weder direkt noch indirekt, dass irgend ein Kind werde verlorengehen. Die meisten Angriffe gegen ihn beruhen auf seiner Lehre von der Erbsünde, durch welche die ganze Menschheit ausnahmslos schuldig und verderbt ist. Viele Lehraussagen Calvins sind hochkontroversiellen Abschnitten entnommen, die eigentlich von ganz anderen Lehren sprechen und so quasi »ungeschützt« sind; wenn sie dagegen in dem Zusammenhang gelassen werden, in den Calvin sie gesetzt hat, kann an ihrer wahren Aussage nicht mehr gezweifelt werden. Calvin sagt über die Kinder eigentlich nichts anderes als David von sich selbst gesagt hat: »Sieh doch, ich bin in Sünde geboren, in Schuld empfing mich schon meine Mutter«, oder auch was Paulus in 1 Kor 15,22 sagt: »Wie sie in Adam alle sterben« oder auch in Eph 2,3: »Von Natur aus Kinder des Zorns«.

Ich glaube, ausreichend gezeigt zu haben, dass die Lehre von der Erwählung in jedem Punkt biblisch ist und außerdem zwingend Sache des gesunden Menschenverstandes. Jene, die sich gegen diese Lehre stellen, tun das, weil sie die Majestät und Heiligkeit Gottes weder verstehen noch recht betrachten, genauso wenig wie die Verderbtheit und Schuld ihrer eigenen Natur. Sie vergessen, dass sie vor ihrem Schöpfer kein Recht auf Gnade haben, sondern als verdammte Kriminelle vor ihm stehen und nichts als Strafe verdienen. Außerdem wollen sie unabhängig sein und lieber ihr eigenes Heilsschema ausarbeiten, als Gottes Plan anzunehmen, der nichts als Gnade ist. Die Lehre von der Erwählung kann mit keinem einzigen Werk harmonisiert werden, das der Mensch wirkt, auch nicht mit einer Mischung von Werk und Gnade, sondern sie ist das einzig mögliche Ergebnis eines Bundes reiner Gnade.


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