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4) Der Sündenfall

Der Fall der Menschheit in den Zustand der Sünde und des Elends ist der Grund und die Basis für die Erlösung, wie sie uns in der Heiligen Schrift geschildert wird; auf diesem Grund und auf dieser Basis ruht unser Gedankengebäude. Nur der Calvinismus nimmt die Lehre vom Sündenfall wirklich ernst. Die Bibel selbst erklärt von Anfang bis zum Ende den Bankrott — den totalen Bankrott — der menschlichen Verfassung: Der Mensch ist in einem Zustand der Sünde und der Gefallenheit, aus dem er sich unmöglich erlösen kann. Gott hätte ihn gerechterweise dem Verderben überlassen können. Die Erzählung vom Sündenfall findet sich im AT in 1. Mose 3; das NT bezieht sich darauf in Röm 2,12—21; 1 Kor 15,22; 2 Kor 11,3; 1 Tim. 2,13f usf. Das Neue Testament betont nicht die Faktizität des Geschehenen, sondern den ethischen Aspekt des Gefallenseins. Die Schreiber des NT verstanden diesen Fall wörtlich und haben ihre Theologie darauf gegründet. Für Paulus war Adam genauso real wie Christus, der Sündenfall genauso wirklich wie die Erlösung. Es mag zwar eingewendet werden, die Apostel hätten sich geirrt; dass sie die Dinge aber so und nicht anders verstanden, kann hingegen nicht angezweifelt werden.

Dr . A . A . Hodge hat diesen Umstand recht anschaulich dargestellt, daher führe ich seine Darstellung hier an:

»Da es in der Natur der Sache liegt, dass nicht jedermann dieselbe Chance wie Adam bekommen kann, wenn er auf die Welt kommt, hat Gott, der über die Menschheit zu ihrem Besten wacht, allen Menschen in Adam unter den allerbesten Voraussetzungen die stellvertretende Chance gegeben, sich zu entscheiden und damit für die ganze Menschheit zu entscheiden. Er hat ihm einen »Bund der Werke und des Lebens« gestiftet: Er hat ihm fortdauerndes Leben garantiert, sofern sich Adam (und in ihm alle Menschen) an diesen Bund hält, ihm mithin gehorsam ist. Der geforderte Gehorsam war eine Prüfung auf Zeit: entweder andauernder Gehorsam oder Tod aufgrund von Ungehorsam. Der versprochene »Lohn« war das ewige Leben, eine Gnade, die viel mehr umfasste, als was Adam ursprünglich zugesagt war. Diese Zusage hätte die Menschheit in einen Zustand unanfechtbarer Heiligkeit und unausgesetzten Glückes erhoben. Die angedrohte ‚Strafe‘ war der Tod: ‚An dem Tag, an dem du davon essen wirst, muss du sterben.‘ Welcher Natur dieser Tod war, kann man nur anhand des Folgenden verstehen: Gottesferne und Entzug aller göttlichen Kommunikation, von der das Leben abhing. Daher die Entfremdung und der Fluch Gottes; Schuldgefühle und Verderbtheit der menschlichen Natur, wiederholte Übertretung von Gottes Gebot, das ganze Elend des Lebens, die Auflösung der Körper und die Höllenstrafe.«6767     Ebd., S. 19-20.

Die Konsequenz der Sünde Adams wird im weitesten Sinn »Tod« genannt. Paulus formuliert es so: »Der Lohn der Sünde ist der Tod.« Die Totalzurechnung des Todes, die Adam erlitt, versteht man erst, wenn man alle Konsequenzen bedenkt, die der Mensch seither zu tragen hat. Der Anfang der Strafe war geistlicher Tod oder die Trennung von Gott; der physische Tod des Körpers ist eine der ersten Früchte dieser Strafe und eine vergleichsweise unbedeutende im Hinblick auf die viel größere Strafe, die ihm folgt. Adam starb erst ungefähr 930 Jahre nach dem Fall, aber er starb geistlich gesehen in dem Moment, als er gesündigt hatte. Er starb so, wie ein Fisch zu sterben beginnt, wenn man ihn aus dem Wasser zieht oder wie eine Pflanze, die man entwurzelt.

»Allgemein pflegen wir eine falsche Auffassung vom Fall Adams.  … Adam ist nicht in direkter Weise von Satan versucht worden. … Satan versuchte Eva, und Eva ließ sich verführen. Dass Adam nicht verführt worden ist, wissen wir aus 1 Tim 2,14. Er erlag keiner satanischen List, sondern tat das, was er getan hatte, willentlich und bewusst. In vollem Bewusstsein, was er tat, ist er darin absichtlich seiner Frau in ihre sündige Übertretung gefolgt. Es ist dieses absichtsvolle Wollen des Menschen gewesen, was seinen nunmehr ruchlosen Charakter hervorgebracht hat. Wäre er von Satan aufgrund einer Macht zum Nachgeben gezwungen worden, dann hätten wir zweifellos versucht, seinen Fall zu entschuldigen. Da er aber mit vollem Bewusstsein und Trotz gegen den Schöpfer gehandelt hatte, kann für seinen Fall keinerlei Entschuldigung gefunden werden. Seine Tat war willentlich, eine trotzige Rebellion, die ihn augenblicklich aus der Gefolgschaft Gottes in die Gefolgschaft Satans versetzte.«6868     Warburton, Calvinism, S. 34.

War das denn etwa kein Fall? Es war ein fürchterlicher Fall! Je mehr wir in den menschlichen Abgrund sündigen Seins blicken, desto leichter fällt es uns, zu verstehen, was diese Erb-Sünde bedeutet. Man betrachte diese Erde als Ganzes: all die Mörder, Räuber, Trinker, Kriege, zerstörte Familien und Verbrechen aller Art. All die ausgeklügelten Verbrechen und Laster, wie sie seit dem Bestehen der Menschheit ausgeübt werden, erzählen uns eine beängstigende Geschichte. Ein großer Teil der Heiden — sowohl vor Zeiten als auch heute — wird in der Dunkelheit des Heidentums gelassen, hoffnungslos von Gott entfernt. Wie alle Arten der Ablehnung hält der Modernismus Einzug — auch in den Gemeinden. Auch die so genannte christliche Presse ist stark von Unglauben durchzogen. Man beachte die generelle Neigung, weniger zu beten oder in der Bibel zu lesen, ganz zu schweigen von geistlichen Dingen! Wie flieht der Mensch seit Adam alles, was göttlich ist! Er will nicht mit Gott reden, und sein Herz ist voller Feindschaft gegen seinen Schöpfer. Die Natur des Menschen ist zweifellos verkehrt. Die täglichen Zeitungen berichten von Ereignissen — auch in einem so erleuchteten Land wie Amerika — die zeigen, wie sündig der Mensch, wie gottfern er ist und von unheiligen Prinzipien geleitet. Die einzig angemessene Erklärung dafür lautet, dass die Todesstrafe, die den Menschen vor seinem Fall bedrohte, jetzt auf der Menschheit liegt.

Wir leben in einer verlorenen Welt, einer Welt, die, wenn sie sich überlassen bliebe, von Ewigkeit zu Ewigkeit schlimmer würde, einer Welt, die von Ungerechtigkeit und Gotteslästerung nur so raucht. Die Auswirkungen des Sündenfalles neigen den menschlichen Willen ausschließlich hin zu Sünde und Torheit. Tatsächlich erlaubt es Gott nicht, dass die Menschheit immer mehr verdirbt, wie es ohne diese göttliche Intervention zweifellos der Fall sein würde. Er übt bremsende Einflüsse aus, bringt Menschen dazu, einander zu lieben, ehrlich, menschenfreundlich und aufeinander bedacht zu sein. Wenn Gott diese Einflüsse nicht ausübte, steigerte sich die Gefallenheit des Menschen bis ins Allerschlechteste; es brächen alle sozialen Konventionen irgendwann zusammen und der Zenit der Gesetzlosigkeit wäre bald erreicht. Die Erde wäre in einem Zustand, in dem ein Leben als Auserwählter nicht mehr möglich wäre.


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