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III.

Durch die bisherigen Ausführungen werden wir in den Stand gesetzt sein, über die am Schluss des ersten Capitels aufgeworfene Frage zu urtheilen, welcher Werth den you Eusebius in seinen beiden Geschichtswerken angesetzten Daten über die Zeit des Martyriums des Ignatius beizulegen ist. Ich fasse die Resultate .der Untersuchungen im folgenden zusammen:

1) Der Angabe im Chronicon (post 2123 Abr.), Ignatius, der 2. Bischof Antiochiens, sei Märtyrer geworden, liegt der Ansatz in der Chronik des Africanus v. J. 222 zu Grunde, welcher Ignatius ebenfalls als 2. antioch. Bischof gezählt und den Tod desselben zu einem in seinem Schema dem eusebianischen ann. 2123 Abr. entsprechenden Olympiadenjahr gestellt hat.

2) Dieser Ansatz des Julius Africanus stammt daher, dass er den Tod des Ignatius (schematisch) eine Olympiade nach dem Amtsantritt des 5. römischen Bischofs Alexander gcstellt hat.

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3) Eusebius selbst hat die Unsicherheit dieser Datirung dadurch zu erkennen gegeben, dass er den Tod des Ignatius nicht zu, sondern nach dem Jahre Abr. 2123 gestellt hat.

4) Das Verzeichniss antiochenischer Bischöfe, welches Africanus benutzte, hat nicht mit Petrus, sondern mit Euodius-begonnen und hat über eine Einsetzung des Euodius durch irgend einen Apostel nichts mitgetheilt.

5) Dieses Verzeichniss enthielt nichts als eine Reihenfolge von Namen; insonderheit liegt nicht nur kein Grund vor, anzunehmen, der Name des Trajan sei in demselben mit dem des Ignatius verknüpft gewesen, sondern es ist positiv unwahrscheinlich, dass eine solche Zusammenstellung daselbst zu lesen war.

6) Die Notiz des Origenes (s. ob. S. 5 f.) hat, nachdem die fragliche Angabe über Ignatius bis auf d. J. 222 zurückverfolgt ist, keinen selbständigen Werth. Zudem sagt Origenes nicht ausdrücklich, dass Ignatius unter Trajan Märtyrer geworden sei. Uebrigens sei bemerkt, dass Africanus jedenfalls der ältere Zeitgenosse des Origenes gewesen ist. In dem berühmten Brief an diesen (Routh, 1. c. p. 111) redet er ihn κύριέ μου καὶ υἱέ an. Die Homilien des Origenes in Lucam sind aller Wahrscheinlichkeit nach später als i. J. 222 abgefasst. — Eine sichere Kunde darüber, ob Ignatius überhaupt nach Rom gelangt ist, besitzen wir nicht. Aber wir haben auch keinen Grund, es zu bezweifeln. Das Schweigen der Tradition ist keine Instanz; denn Ignatius scheint nicht „ein berühmter Schriftsteller“ gewesen zu sein. Ist uns doch auch der Märtyrertod des röm. Bischof Telesphorus nur durch Zufall bekannt geworden, ebenso der des Cyrillus v. Antiochien.

7) In der Kirchengeschichte hat Eusebius seine in der Chronik für die 5 ersten antioch. Bischöfe aufgestellten Ansätze einfach preisgegeben, ohne irgendwie bessere chronologische Kunde inzwischen sich erworben zu haben. Im einzelnen ist aber folgendes beachtenswerth:

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a) Von einer Stiftung, resp. Einrichtung der antioch. Kirche durch Petrus berichtet Eusebius Nichts, ebensowenig bringt er den Namen dieses Apostels mit dem des Euodius in Verbindung.

b) Den Tod des Ignatius scheint er zwar noch unter Trajan anzusetzen, aber ohne nähere Datirung und ohne Nennung des Namens Trajan’s.

c) Die Kunde, die er, abgesehen von den Briefen, über Ignatius besessen hat, reducirt sich lediglich auf Angaben des Julius Africanus, Irenäns, Polykarp, von denen die beiden letzteren für die Chronologie überhaupt nicht in Betracht kommen.

Somit ist zu schliessen, dass Eusebius auch, als er die K.G. schrieb, eine chronologische Kunde, abgesehen von der in der Chronik des Africanus enthaltenen, nicht besessen hat. Keine Tradition hat bis dahin den Namen des Trajan, den auch Origenes nicht erwähnt, in dem Process des Ignatius genannt; oder vielmehr nur ein chronistisches Schema hat beide Namen mit einander verknüpft.

8) Man hat noch in nacheusebianiseher Zeit den Process des Ignatius erzählt, ohne den Namen Trajan’s zu nennen.128128   Auf diesen Punkt wird indess ein grösseres Gewicht nicht zu legen sein.

9) Es ist von Athanasius äb eine Tradition nachweisbar, die Ignatius als den ersten antioch. Bischof zählt, und nach welcher die ersten antiochenischen Bischöfe anders mit der Apostelzeit verbunden sind als durch Petrus.129129   Vgl. ob. S. 4. 6. und die Zusammenstellungen bei Zahn, a. a. S. 59 f. Etwas zu rasch gleitet Zahn über diese Beobachtung hinweg; indess, da sie nicht früher als für das 4. Jahrh. nachweisbar ist, so darf allerdings die von Zahn gegebene Erklärung der Tradition, dass Ignatius erster antiocheniacher Bischof gewesen und von den Aposteln eingesetzt sei, als die wahrscheinlichste gelten.

Also beruht nachweisbar die Tradition, Ignatius 69sei unter Trajan Märtyrer geworden, auf der Angabe des Julius Africanus. Diese Angabe aber beruht selbst 1) auf einer antioch. Bischofsliste, auf welcher Ignatius als 2. Bischof verzeichnet war; 2) auf einer willkürlichen, schematischen Berechnung des Africanus, durch welche er auf die Zeit des Trajan geführt wurde; 3) möglicherweise auf einer wirklichen Tradition, die ihm bekannt war.

Nothwendig ist die Annahme einer solchen dritten Quelle nicht; denn die beiden ersten erklären den Ansatz vollkommen. Es kann sich nur fragen, ob sie wahrscheinlich ist, wobei dann immer noch die Zuverlässigkeit derselben problematisch wäre. Für, die Wahrscheinlichkeit derselben liesse sich anführen, dass die Kaisergleichzeitigkeit sich doch im Gedächtniss der Kirche erhalten haben wird. Allein, fällt die Annahme weg, dass Trajan persönlich in das Geschick des Ignatius eingegriffen hat — und diese Annahme stützt sich lediglich auf Fabeln —, so ist nicht der geringste Grund vorhanden, das Gedächtniss der Kirche in diesem Stück für treuer zu halten als in irgend einem anderen. Im Gegentheil lässt sich durch eine Reihe von Beispielen erweisen, dass die Kaisergleichzeiten für Martyrien sich im Andenken — absichtlich oder unabsichtlich — sehr häufig, und zwar in verhältnissmässiä kurzer Zeit, verschoben haben. Erinnert sei an die Ansätze für Polykarp, für Babylas, für Hippolyt und für sehr viele Andere. Ein Blick aber eben auf die antiochenische Bischofs-liste seit Theophilus, licht bei Syncellus oder Eutychius, sondern bei Eusebius selbst, lehrt in dieser Frage mehr als genug. Liegen zwischen Africanus und Ignatius 2-3 Menschenalter, so ist dieser Zeitraum hinreichend gross, um entsetzliche Confusionen zu ermöglichen. Daraus ergieht sich aber, dass eine Wahrscheinlichkeit für die Behauptung, Africanus müsse sich auf zuverlässige Tradition stützen, nicht vorhanden sein dürfte. Wohl aber giebt es Gründe, welche jene Annahme 70unwahrscheinlich machen. Und zwar lassen sich drei hier erheben: 1) Ist darauf aufmerksam zu machen, dass Eusebius diese angebliche, zuverlässige Quelle nicht mehr zur Verfügung gehabt hat. Jede entgegenstehende Meinung wird durch sein beredtes Schweigen und stummes Reden in der K.G. ausgeschlossen. 2) Werden diejenigen, welche die Anschauungen des Verf. über den Ursprung des Episcopats theilen, die Frage aufwerfen, ob es wahrscheinlich ist, dass z. Z. Trajan’s in Antiochen bereits ein Bischof regiert hat. Doch kann die Beantwortung dieser Frage nie mit solcher Sicherheit gegeben werden, dass das Resultat in dem Zusammenhange hier von Bedeutung werden dürfte. 3) endlich ist ein doppeltes in Rechnung zu ziehen. Erstlich ist zu erinnern, dass das antiochenische Verzeichniss nicht mit der Nennung eines Apostels, überhaupt nicht mit irgend einer Rückbeziehung auf die apostolische Zeit, begonnen, sondern den Euodius ohne jede nähere Bestimmung an den Anfang gestellt hat. Zweitens aber ist in Betracht zu ziehen,. dass der Zeitraum, in welchem nach Africanus nur 4 Bischöfe in Antiochien regiert haben sollen, ein überaus grosser wird. Setzt man approximativ den Tod des Theophilus i. d. J. 185, so ergäbe sich, dass in Antiochien innerhalb c. 75 Jahren nur 4 Bischöfe-regiert hätten, d. h. der Einzelne durchschnittlich etwa 18-19 Jahre. Das ist aber eine auffallend lange Zeit. Es wird sich angesichts dieser beiden Beobachtungen Jedem die Frage von selbst aufdrängen, ob die antioch. Bischofsliste wie die römische und alex. wirklich in der Absicht eonstruirt war, die Geschichte des antiochenischen Episcopats bis in die apostolische Zeit zurüekzudatiren oder ob sie nicht, zuverlässiger als jene, nur die Bischöfe, welche es wirklich gewesen sind, enthalten hat. Die letztere Hypothese wird eben durch das Fehlen der Angabe eines apostolischen Stifters, der den ersten 71Bischof geweiht hätte — ein solcher wäre hier leichter zu citiren gewesen als irgend sonst — positiv gestützt; sie wird aber weiter gestützt durch die directe Beobachtung, dass der Chronist in der Lage gewesen ist, die wenigen ihm überlieferten antiochenischen Namen auf das Prokrustesbett spannen zu müssen, indem er sie auf einen bedenklich langen Zeitraum zu vertheilen hatte. Berechnet man aber — hypothetisch die Amtsdauer von 4 Bischöfen auf etwa 48 Jahre, und zählt man vom Tode des Theophilus rückwärts, so gelangt man etwa für das Todesjahr des Ignatius auf die Zeit des Martyriums des römischen Bischof Telesphorus. Oder: setzt man den Tod des Theophilus auf die Mitte der Regierungszeit des Eleutherus und rechnet nun in der römischen Liste um 4 Bischöfe rückwärts, so wird man c. auf d. J. 138 geführt. In der alex. Liste führt eine ähnliche Berechnung auf ein ähnliches Datum.

Doch die letzte Ausführung ist nur zur Illustration eingeführt. Der Anschein soll nicht erweckt werden, als liesse sich aus der Tradition die Zeit des Martyriums des Ignatius irgendwie bestimmen. Was sich mit Sicherheit ermitteln lässt, ist aber dies, dass die Tradition, Ignatius sei unter Trajan Märtyrer geworden, eine blasse Möglichkeit ist, der keine Sicherheit, ja nicht einmal eine besondere Wahrscheinlichkeit zukommt. Bei der Untersuchung der wichtigen Probleme, die. über dem Ursprung der unter dem Namen des Ignatius überlieferten Briefe schweben, sind die Angaben der Tradition somit nicht weiter in Rechnung zu ziehen. Liesse sich z. B. die Hypothese der Echtheit der Briefe unter der Voraussetzung, sie seien z. Z. des Hadrian (der auch den Namen Trajan führte) oder selbst des Antoninus Pius geschrieben, als die wahrscheinlichste erweisen, so ist das Veto angeblicher Traditionen nicht weiter zu beachten. Hierin besteht das letzte Resultat dieser Untersuchungen — ein negatives, aber doch im Grunde ein positives.

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Es hat sich in dieser Frage wiederum bewährt, dass die chronologischen Ansätze der kirchlichen Ueberlieferung über den Ursprung ältester christlicher Schriftwerke auf die Untersuchung dieser selbst nicht einen fördernden, sondern einen hemmenden Einfluss ausgeübt haben. Die Einsicht in diesen Thatbestand wollen diese Blätter verbreiten helfen und nach Entfernung eines falschen Wegweisers zu erneuter Prüfung der ignatianischen Literatur anregen.

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