Contents
« Prev | 6. Von der Ueberfahrt zur Gottheit. | Next » |
6.
Von der Ueberfahrt zur Gottheit.
Wie die Sonne scheint, so sieht das Auge; dann ist das Auge in der Sonne, und die Sonne im Auge. Wohlauf, mein Freund, nun merke, was ich meine, denn ich traue mich kaum, meine Meinung zu schreiben oder zu reden, weil in den Personen die göttliche Natur ein Spiegel ist, wohin nie Sprache kommt. Soweit sich die Seele über die Sprache erheben kann, so weit macht sie sich dem Spiegel gleich. In dem Spiegel sammelt sich nur Gleiches.
Als ich, Herr, in dir war, da war ich unbedürftig in meinem Nichts, und dein Angesicht, dass du mich ansahst, das machte mich bedürftig. Wenn das ein Tod ist, dass die Seele von Gott scheidet, so ist auch das ein Tod, dass sie aus Gott geflossen ist, denn jede Bewegung ist Sterben. Daher sterben wir von Zeit zu Zeit, und die Seele stirbt allsterbend in dem Wunder der Gottheit, da sie göttliche Natur nicht erfassen 192kann. In dem Nichts stürzt sie hinüber und wird zunichte. In diesem Nichtsein wird sie begraben und mit Unerkenntnis wird sie vereint in den Unbekannten und mit Ungedanken wird sie vereint in den Ungedachten und mit Unliebe wird sie vereint in den Ungeliebten. Was der Tod erfasst, das kann ihm niemand mehr nehmen: er scheidet das Leben vom Körper und scheidet die Seele von Gott und wirft sie in die Gottheit und begräbt sie in ihr, so dass sie allen Kreaturen unbekannt ist. Da wird sie als Verwandelte im Grab vergessen, und sie wird unbegreiflich allen Begreifern. Wie Gott unbegreiflich ist, so unbegreiflich wird sie. So wenig man die Toten begreifen kann, die hier vom Körper sterben, so wenig kann man die Toten begreifen, die in der Gottheit tot sind. Diesen Tod sucht die Seele ewiglich. Wenn die Seele in den drei Personen getötet wird, dann verliert sie ihr Nichts und wird in die Gottheit geworfen. Da findet sie das Antlitz ihres Nichts. Darüber spricht unser Herr: „Meine Unbefleckte, du bist gar schön,“ und von der Unbegreiflichkeit seiner Schönheit spricht sie: „Du bist noch schöner.“ Da blickt sie in die geheimen Künste Gottes, dass Gott wunderbarerweise das Nichts bedürftig gemacht hat, und es hat ihm doch nichts geschadet. Sankt Dionysius sagt: Das ist kein Wunder, dass Gott 193die Seelen mit seinem Angesicht bedürftig gemacht hat, wo doch die Sonne ohne weiteres den Maden und den Würmern im faulen Holze Leben gibt. So sieht die Seele Gottes Grösse an und ihre Kleinheit, und wirft sich aus dem Herzen Gottes und aus allen Kreaturen, und bleibt bei ihrem blossen Nichts und die göttliche Kraft enthält sie in ihrem Wesen. Sankt Dionysius sagt: Alle Dinge stehn nach dem Gebot Gottes auf Nichts. Und wieder sagt er: Der Blick, der aus Gott in die Seele geht, ist ein Beginn des Glaubens, dass ich glaube, was mir nie offenbart ward. So weit als sich die Seele mit dem Glauben in das unbekannte Gut versenken kann, so weit wird sie eins mit dem unbekannten Gut und wird sich selbst und allen Kreaturen unbekannt. Sie weiss wohl, dass sie ist; aber sie weiss nicht, was sie ist. Wenn sie alles das erkennt, was zu erkennen ist, erst dann kommt sie hinüber in das unbekannte Gut. Diese Ueberfahrt ist manchen Erkennern verborgen. Die Seele ist ihrer Natur nach dergestalt: wo sie irgend ist, da ist sie ganz und gar, in jedem Glied ist sie ganz und gar, und das kommt daher: wo irgend Natur ist, da ist sie ganz und gar. Darum ist die Gottheit an allen Orten und in allen Kreaturen und in jeder ganz und gar.
Die ungenaturte Natur naturt nur insoweit als sie sich naturen lässt. Sonst naturt sie nicht, 194der Vater naturt seinen Sohn in der genaturten Natur, und doch ist der Vater der ungenaturten Natur so nahe wie der genaturten Natur, denn sie ist eins mit ihm. Der Vater ist in der ungenaturten Natur allein und auch der erste in der genaturten Natur. Und in der genaturten Natur ist der Sohn mit dem Vater naturend, und der Sohn naturt den heiligen Geist, und der heilige Geist ist mit dem Vater und dem Sohne in der genaturten Natur und er naturt nicht. In der ungenaturten Natur sind sie eins, und die genaturte Natur unterscheidet die Personen, und die Personen sind so ewig in ihren Personen, wie die ungenaturte Natur in ihrer Natur ist, und die genaturte Natur ist so ewig an sich, wie die ungenaturte Natur, und dies ist nichts als ein Gott und drei Personen, die naturen die Kreatur, jede in ihrer Natur, und geben ihnen Kraft und Werk, wie es ihnen am besten bekommt. Eine jede Kreatur hat ihre Natur so lieb, dass sie keine andere haben wollte. Ein Meister spricht: Könnte Gott von Reue ergriffen werden, so reute ihn, dass er nicht allen Kreaturen göttliche Natur geben konnte.
Gott ist an sich selbst ein einfaches Gut und ungeteilt. Alle Namen, die die Seele Gott gibt, nimmt sie aus sich selbst. Er ist dreifaltig und doch eins und allen Kreaturen gemein und er ist den verbrannten Geistern und denen, die im 195Brande erloschen und in ihm zunichte geworden sind, eine einfache Substanz.
Selig ist die Seele, die sich hinüberschwingt, um alle Dinge in der blossen Gottheit zu emp- fangen. Die Seele soll begraben werden im Angesichte Gottes, sie soll in den Himmel gezogen werden, wo die drei Personen in der Einheit ihrer Natur darin wohnen. Das ist die verborgene Gottheit, über die man nicht sprechen kann. Selig sind, die die Ueberfahrt machen: denen werden alle Dinge, die doch allen Kreaturen unbekannt sind, in der Wahrheit bekannt.
Die Kreatur hat einen Eingang in Gott, woran ihr Wesen liegt, und sie wirkt in der Kraft, die sie bewegt, von Nichts zu Etwas zu kommen. Nun sagt Sankt Paulus und auch Sankt Augustin: „Wie ist mir geschehen, dass ich von Nichts zu Etwas geworden bin, und von einem Wurme Gott und von einer Kreatur Schöpfer?“ Die Seele soll so in Gott vereint sein, dass es ihr vorkommt, es sei nichts mehr als Gott allein, und Gott schaffe nie mehr eine Kreatur als sie allein. Die Seele, die diese Ueberfahrt tut, die kommt in eine Ruhe aller Dinge. Sie ist Gott, wie er an sich selbst ist. Darüber spricht Christus selbst: „Ich bin euch Mensch gewesen, und wenn ihr mir nicht Gott seid, so tut ihr mir unrecht.“ Gott ist Mensch geworden, damit wir Gott werden. Gott war mit 196göttlicher Natur in der menschlichen Natur verborgen, so dass man da nichts erkannte als einen Menschen. So soll sich die Seele in göttlicher Natur verbergen, so dass man an ihr nur Gott erkennen kann. Gott ist nicht Natur, wie die Kreatur ist, die das an sich hat, was eine andere nicht hat. Wer ein Bäcker und auch ein Brauer wäre, von dem könnte man nicht sagen, er sei allein ein Brauer, weil er auch ein Bäcker wäre. So ist Gott aller Naturen Natur, weil er aller Naturen Natur unzerstückt in sich hat. Er ist Licht aller Lichter, er ist Leben der Lebenden, er ist Wesen der Wesenden, er ist Sprache der Sprechenden. Darum ist er aller Naturen Natur. Darüber sagt Sankt Dionysius: Er kann deshalb nicht eine Natur heissen, weil er einfach ist und nichts seines Gleichen ist. Und ferner sagt er: Man kann Gott nur mit Unerkenntnis erkennen. Wenn Gott in die Seele kommt, so kommt er mit allen Dingen in sie. Allein wenn Gott die Dinge einfach in sich hat, so hat sie die Seele doch sprachlich mit Unterscheidung; Teufel und Engel und alle Dinge.
So hat die Seele das Vermögen, alle Dinge in Gott zu empfangen, und sie erkennt, was Gott in ihnen ist und was sie in Gott sind, und sie schwingt sich auf in die Einfachheit über alle Dinge in die Unerkenntnis. Darüber sagt Sankt Dionysius, das sei Herrschaft, dass man über niedere 197Dinge hinwegsteige und über die, die daneben sind, und sie in die höchsten bringe. Darüber spricht Christus: „Die mir folgen, die will ich dahin bringen, wo ich bin.“ Der Vater spricht sich in dem Sohn in die Seele. Denn der Sohn, das Wort, ist des Vaters, so offenbart der Vater sich der Seele in dem Worte, weil er in seiner göttlichen Natur keine Gestaltung hat. Und ebenso spricht sich die Seele in demselben Worte in den Vater zurück, weil sie keine Gestaltung hat in ihrem Nichts, darum lässt sie ihr Etwas im Worte und wirft sich ungestaltet in den Ungestalteten. Die Gottheit ist ein nacktes, einfaches Ding, das aller Dinge Kraft in sich hat über den Personen, und sie kann sich niemandem hingeben und niemand kann sie völlig so empfangen, dass sie allein in ihm bestehe. Darüber sagt Sankt Dionysius: Die Gottheit hat alle Dinge. Darum sind die drei Personen in der Gottheit, die die Gottheit offenbaren, jede von ihnen der andern und der Kreatur insoweit als sie davon empfangen kann. Der Vater offenbart sich die Gottheit selbst und offenbart sie seinem Sohn, und der Vater und der Sohn offenbaren sie dem heiligen Geist, und die drei Personen offenbaren sie den Kreaturen, und die Gottheit spielt mit der Sprache und vor der Sprache und über der Sprache, und die Sprache kann sie nicht erfassen. Und wären nicht die 198drei Personen mit ihrer Unterschiedenheit in der Gottheit, so wäre die Gottheit nie offenbart worden und sie hätte nie Kreaturen geschaffen. Darum sind die ewigen Werke eine Ursache der Kreatur. Die Offenbarung nimmt die Gottheit von den Dingen, die niedriger sind als sie. Die allergrösste Vollkommenheit an den Kreaturen ist mangelhaft. So geschieht es manchmal, dass der Mond sich vor die Sonne stellt und den Sonnenschein ganz und gar empfängt; man sagt dann, die Sonne sei verschwunden. So ist ein Stern, der wirft seine Kraft in den Mond und entzieht ihn der Sonne; die Sonne nimmt dann von den Dingen, die unter ihr sind, ihr Licht.
Wenn so die Seele in das reine Wesen der Gottheit kommt, so erkennt sie alle Dinge bis auf die niedrigsten Kreaturen; so leuchtet sie sich selbst, und alle Dinge in ihr, und erkennt in der Gottheit göttliche Natur und in dem Unterschied der Personen verliert sie ihren Namen, und die drei Personen verlieren ihren Namen in der Einheit, und alles was die Einheit umfassen kann, verliert seinen Namen darin. Dann sinkt die Seele nichtswärts dahin und alles soll dem Nichts der Gottheit sich nähern und die Kräfte sollen mitkommen. Darüber sagt Sankt Dionysius: Die Gottheit ist zunichte geworden. Damit meint er, dass die Seele mit ihrem nackten Wesen 199den Kräften entgangen ist. Dann haben die Kräfte die Gottheit verloren und auch ihr blosses Wesen der Gottheit in den Personen und in den Kräften, und die Kräfte haben ein Nachfolgen in das Wesen und sie widerstehen dem Sträuben der Dreieinigkeit. Da verliert die Liebe ihren Namen und alle Dinge im Nichts der Gottheit, da ist die Seele in ihr Etwas hineingeflossen. Im Nichts der Gottheit hat der Vater seine Vollkommenheit, und die drei Personen ihre Einheit, und sie geben allen Kreaturen ihre Vollkommenheit in ihr geschaffenes Etwas, und die Seele fliesst in ihrem Etwas im Nichts der Gottheit durch alle Dinge, und sie berührt sie doch nicht im Etwas ihres Wesens. Darüber sagt Sankt Dionysius, dass die Seele nicht berührt werde an ihrem Nichts im Nichts der Gottheit, und dass die Seele auch die Gottheit nicht an ihrem Nichts berühre. Da ist sie so gross, . . . . dass sie gleich ihm in einem' Lichte fliesst. Darüber sagt Sankt Dionysius: Die Gottheit ist zunichte geworden, weil die Kräfte der Seele sie nicht erfassen können.
200« Prev | 6. Von der Ueberfahrt zur Gottheit. | Next » |