Contents
« Prev | 5. Die Seele auf der Suche nach Gott. | Next » |
5.
Die Seele auf der Suche nach Gott.
Die Gott um Lohn mit äussern Werken dienen, denen soll mit geschaffenen Dingen wie Himmelreich und himmlischen Dingen gelohnt werden. Die aber Gott mit innerlichen Werken dienen, denen soll mit dem gelohnt werden, was ungeschaffen ist, das heisst mit den Werken der heiligen Dreifaltigkeit!
Nun pass auf. Zerginge das Feuer, so wäre kein Licht; zerginge die Erde, so wäre kein Leben; zerginge die Luft, so wäre keine Liebe; zerginge das Wasser, so wäre kein Raum. Darum ist Gott nicht Licht noch Leben noch Liebe noch Natur noch Geist noch Schein noch alles, was man in Worte fassen kann. Es ist Gott in Gott, und Gott ist aus Gott geflossen, und Gott befindet sich in sich selbst als Gott und befindet sich in all seinen Kreaturen als Gott und befindet sich insbesondere in einer edeln Seele. Der Vater ist allgewaltig in der Seele, der Sohn 185allweise, der heilige Geist allliebend in der Seele und er liebt alle Kreaturen in gleicher Liebe. Er zeigt sich ihnen aber ungleich, und dazu ist die Seele geschaffen, dass sie es erkennen soll, wie es ist, und sich in die Reinheit des grundlosen Brunnens göttlicher Natur versenken soll und da wie eins werden mit Gott, so dass sie selbst sagen könnte, sie sei Gott. So abgezogen sollte die Seele in sich selbst sein, dass sie keine gemachten oder genannten Dinge in sich bilden kann, und sollte so entblösst in sich selbst sein, wie Gott aller Namen entblösst ist, und sollte sich über sich selbst in ihren Gott erheben und sich mit ihrem Gott für ihren Gott halten; denn Gott ist weder weiss noch schwarz noch gross noch klein; er hat weder Raum noch Vergangenheit noch Zukunft und die Seele ist ihm nur insofern gleich als sie sich über alle Geschaffenheit hinwegsetzen kann.
Die Seele ist eine Kreatur, die alle genannten Dinge empfangen kann, und ungenannte Dinge kann sie nur empfangen, wenn sie so tief in Gott empfangen wird, dass sie selbst namenlos wird. Und das kann dann niemand wissen, ob Gott sie oder sie Gott ergriffen habe. Dionysius sagt, dass Gott sich selbst in ihr begriffen habe und sie so ganz in sich zieht, dass sie in sich selbst nichts mehr ist als Gott. Zu dieser 186Erkenntnis ist die Seele geschaffen, dass sie mit einem Erguss göttlicher Herrlichkeit in den Grund des grundlosen Brunnens zurückfliessen soll, woher sie geflossen ist, und erkennen soll, dass sie an sich selbst nichts ist. Das Wahrste, das uns zugehört, das ist, dass wir erkennen, dass wir von uns selbst aus nichts sind, und dass wir nicht wir selbst sind.
Gott hat alle Dinge für sich selbst getan und hat die Seele sich gleich gemacht, damit sie über allen Dingen, unter allen Dingen, in allen Dingen und ausserhalb aller Dinge sein könne, und doch ungeteilt in sich selbst bleibe. Doch steht sie auf höherer Stufe, wenn sie in der Wüstung verharrt, wo sie nichts ist und wo kein Werk ist. Sankt Dionysius sagt: Herr, ziehe mich in die Wüste, wo du nicht gebildet bist, damit ich in deiner Wüste alle Bilder verliere. Wenn die Seele so über alle Dinge hinausgegangen ist, so spricht sie: Herr, ziehe mich in die Gottheit, wo du nichts bist, denn alles, was etwas ist, halte ich nicht für Gott. Ihren freien Willen gibt sie Gott und wirft sich in ihre Nacktheit und spricht: Herr, ziehe mich in die Finsternis deiner Gottheit, auf dass ich in der Finsternis all mein Licht verliere: denn alles, was man offenbaren kann, halte ich nicht für Licht. Sie wird so mit Gott vereinigt, dass sie 187mehr Gott wird, als sie an sich selbst ist. Etwas von Gott ist Gott ganz und gar, und etwas von ihm birgt sein ganzes Wesen. Darum ist er in der niedrigsten Kreatur ebenso vollkommen wie in der obersten. Ein Gleichnis: Der kleinste Zapfen am Fass verschliesst alles was darin ist, ebenso gut wie der grösste. Darum ruht sein Begreifen auf seiner väterlichen Kraft. Er begreift sich in sich selbst in allen Kreaturen. Und das Begreifen hat er verhüllt mit dem Gewande der Dunkelheit, dass ihn keine Kreatur so begreifen kann, wie er sich selbst in sich selbst begreift. Was die Seele im Licht begreift, das verliert sie in der Dunkelheit. Und doch trachtet sie nach der Dunkelheit, weil sie das Dunkel wegsamer dünkt als das Licht. Allda verliert sie sich und das Licht in der Dunkelheit.
Die Kraft, die die Seele zum Ziel bringt und sie aus sich selbst ohne ihr Zutun hinausführt, ist Gott. Ich berühre das Münster, ich führe es aber nicht hinweg. Dass wir Gott Materie, Form und Werk beilegen, geschieht um unserer groben Sinne wegen. Die Meister sagen: ein Licht erleuchtet nicht und hat weder Form noch Materie und ist doch Kreatur. Wer Gott kennen will wie er ist, der muss aller Wissenschaft entledigt sein. Wo Gott weder Zeit noch Wesen hat, da ist er ungenannt.
188Nun pass auf, wann der Mensch alle Kreatur ist. Wenn er ihrer aller Kraft in sich hat. Wenn der Mensch mit den äussern Sinnen alle körperlichen Dinge erkennt und sich dann abscheidet und doch ohne Berührung darin bleibt, und wenn er mit den innern Sinnen alle geistigen Dinge erkennt und sich dann ebenfalls abscheidet und ohne Berührung darin bleibt: dann erst ist der Mensch alle Kreatur und dann erst ist er zu seiner Natur gekommen und ist bereit in Gott zu gehn. Dass wir Gott nicht finden, das kommt daher: wir suchen ihn mit Gleichnissen, während er doch kein Gleichnis hat. Alles, was die heilige Schrift beibringen kann, ist mehr ihm ungleich als ihm gleich. Darüber sagt Origines, dass die Seele Gott erforschen will, das kommt von ihrem vielen Beobachten. Erkennte sie sich selbst, sie erkennte auch ihren Gott. Dass sich die Seeel bildet und ihren Gott bildet, das kommt bei ihr davon, dass sie zu viel beobachtet. Wenn sie in die Gottheit versinkt, da geht ihr alles Beobachten verloren.
Darüber sagt Dionysius zu Timotheus: Mein Freund Timotheus, wirst du des Geistes der Wahrheit gewahr, so geh ihr nicht mit menschlichen Sinnen nach, denn er ist sehr geschwinde: er kommt als ein Sausen. Man soll Gott suchen mit Fremdheit, mit Vergessenheit und mit Unsinnen, 189denn die Gottheit hat die Kraft aller Dinge in sich und hat in keinen Dingen ihres Gleichen. Dionysius sagt, die Seele hat ihre Kräfte auf ihr nacktes Wesen geworfen, so dass die oberste Kraft allein wirkt. Darüber sagt ein Meister: wenn die oberste Kraft über die Werke die Oberhand gewinnt, so gehen die andern alle in sie und verlieren ihr Werk, und dann steht die Seele in ihrer richtigen Ordnung und in ihrem nackten Wesen, und ihr nacktes Wesen ist ihre emporgezogene Klarheit, die hat aller Dinge Kraft in sich. Darum sagt ein Meister: erkennte die Seele sich selbst, so erkennte sie alle Dinge.
Gott fliesst in sich selbst zurück, so dass er aller Kreaturen so wenig achtet als er tat wie sie nicht waren. So soll auch die Seele tun. Dies soll mit dem Menschtum die Person des Sohns begreifen, und mit der Person des Sohns den Vater, und den heiligen Geist in ihnen beiden, und sie beide in dem heiligen Geist, und soll mit der Person des Vaters das einfache Wesen begreifen und mit dem Wesen den Abgrund und soll in dem Abgrund versinken ohne Materie und Form. Materie, Form, Verstand und Wesen hat sie in der Einheit verloren, denn sie ist an sich selbst zunichte geworden: Gott wirkt alle ihre Werke, er hält sie in seinem Wesen und führt sie in seiner Kraft in die blosse Gottheit. 190Da fliesst sie mit der Gottheit in all das, worin Gott fliesst. Sie ist aller Dinge Ort und sie hat selbst keinen Ort. Dies ist der Geist der Weisheit, die weder Herz noch Gedanken hat.
191« Prev | 5. Die Seele auf der Suche nach Gott. | Next » |