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4) Schottland
Die beste Methode, die Früchte eines religiösen Lehrgebäudes zu untersuchen, besteht darin, ein Volk oder ein Land zu untersuchen, in dem dieses Lehrgebäude mehrere Generationen lang unwidersprochen geherrscht hat. Wollten wir etwa den Katholizismus untersuchen, müssten wir uns nach Spanien, Italien, Kolumbien oder Mexiko wenden. Wie im religiösen, so auch im politischen Leben sehen wir die Auswirkungen der Lehren. Wenn wir an den Calvinismus denken, dann gibt es nur ein einziges Land, in dem er praktisch die einzige Religion war: Schottland. McFetridge er- zählt, dass vor dem Eintreffen des Calvinismus in Schottland
»tiefste Finsternis das Land bedeckte und wie ein ewiger Alptraum auf den Begabungen der Menschen lag.«302302 McFetridge, Calvinism in History, S. 124.
Und Smith sagt:
»Als der Calvinismus die Schotten erreichte, waren sie samt und sonders Vasallen der römischen Kirche: unterjocht von den Priestern, unwissend, elend, körperlich am Boden, ebenso im Denken und in der Moral. Bucke beschreibt sie als ‚schmutzige Leute an Leib und Haus’, ‚arm und elend’, ‚überaus unwissend und extrem abergläubisch’ — ‚der Aberglaube saß ihnen in allen Knochen.’ Wie wunderbar war aber die Verwandlung, die in ihnen vorging, als Knox ihnen die biblische Lehre brachte, die er zu Füßen Calvins gelernt hatte — es war eine Verwandlung ihres ganzen Sinns. Es war, wie wenn zu Mitternacht die Sonne aufgeht. … Knox war es, der den Calvinismus nach Schottland getragen hatte, und der Calvinismus machte Schottland zum moralischen Standard für die Welt. Es ist bedeutsam: Gerade jenes Land, das dem Calvinismus den meisten Raum verschaffte, hatte die geringste Kriminalitätsrate zu verzeichnen; das Land, von dem die Welt bekennt, dass es den höchsten moralischen Zustand besitzt, ist auch das calvinistischste; in jenem Land, in dem der Calvinismus zur höchsten Herrschaft gelangt war, ist die Moral des Einzelnen wie die des Volkes zu ihrer höchsten Höhe gelangt.«303303 Smith, The Creed of Presbyterians, S. 98, 99.
Carlyle berichtet:
»Was Knox für diese Nation getan hat, darf wahrlich eine Auferstehung von den Toten geheißen werden.«304304 Quelle nicht angegeben.
Und Froude sagt:
»John Knox war der Mann, ohne den ein Schottland, wie es die moderne Welt heute kennt, nicht existieren würde.«305305 Quelle nicht angegeben.
Die Presbyterianische Kirche Schottlands ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Tochter der Reformierten Kirche Genfs. Obgleich sie erst etwas später einsetzte, war die Reformation in Schottland wesentlich gründlicher und beständiger als in England. Sie resultierte in der Etablierung eines calvinistischen Presbyteriums, das Christus als alleiniges Oberhaupt der Kirche anerkannte.
Es ist leicht, anzugeben, wen die Vorsehung dazu ausersehen hatte, das erste Werkzeug der schottischen Reformation zu sein. Dieser Mann war John Knox. Er war es, der den Keim religiöser und ziviler Freiheit legte und der die Gesellschaft revolutionierte. Ihm verdanken die Schotten ihre nationale Existenz.
»Knox war der Größte der Schotten, so wie Luther der Größte unter den Deutschen war«,
sagt Philip Schaff.
»Der Held der schottischen Reformation, obgleich vier Jahre älter als Calvin, saß demütig zu dessen Füßen und wurde noch calvinistischer als Calvin selbst. John Knox hat die meiste Zeit seines fünf Jahre dauernden Exils (1554-1559; wegen der Regentschaft der ›Bloody Mary‹) in Genf verbracht und dort ‚die reinste und vollkommenste Lehranstalt Christi seit den Tagen der Apostel’ gefunden. Nach diesem Modell hat der die Schotten energisch und unerschrocken gelehrt; er brachte sie aus der mittelalterlichen Barbarei in das Licht moderner Zivilisation und hat sich damit einen Namen erworben, der in einer Reihe mit Luther, Zwingli und Calvin steht. Er ist und bleibt nach diesen dreien die größte Persönlichkeit der protestantischen Reformation.«306306 Philip Schaff, The Swiss Reformation, Bd. 2., S. 818.
Froude schreibt einmal:
»Einen Größeren als John Knox wird man in der gesamten Geschichte der Reformation auf dieser Insel nicht finden. … Die Zeit ist gekommen, wo die englische Geschichte jenem Mann wird Gerechtigkeit widerfahren lassen müssen, ohne den die Reformation unter uns ausgelöscht worden wäre, denn der Geist, den Knox nach Schottland brachte, hat Schottland gerettet. Wäre Schottland wieder katholisch geworden, dann hätte weder die Weisheit der Minister Elisabeths noch die Lehre der Bischöfe oder deren Schikanen England vor einer Revolution bewahren können. Seine Stimme lehrte den lothianischen Bauern, ein freier Mann zu sein, vor Gott gleichgestellt zu sein wie die stolzesten Aufseher oder Prälaten, die auf ihren Vorvätern herumtrampelten. Selbst eine Maria Stuart konnte Knox nicht schwächen, und Maitland307307 William Maitland of Lethington, ab 1561 der Staatssekretär Maria Stuarts. Er war schon 1558 Staatssekretär Marie de Guisens von Schottland gewesen. Er war für sein taktisches Geschick bekannt und übernahm ab 1560 zusammen mit Lord James Stuart und John Knox die Führung des Landes (A. d. Ü.). konnte ihn nicht betrügen. Es war Knox, der aus den armen Bürgern dieses Landes ein aufrechtes und ernsthaftes Volk machte, das zwar hart, engstirnig, abergläubisch und fanatisch gewesen sein mag, sich aber niemals von einem König, einem Adeligen oder auch einem Priester hat tyrannisieren lassen. Die Belohnung für Knox bestand in der Undankbarkeit derer, die sein Andenken am meisten hätten würdigen sollen.«308308 Froude, History of England Bd. 10, S. 437.
Die frühe schottische Theologie basierte noch auf dem Prinzip der Prädestination. Knox hatte diese Theologie direkt von Calvin in Genf übernommen; sein Hauptwerk war eine Streitschrift zur Prädestination, eine scharfsinnige, gewaltige und unerschrockene Polemik gegen wackelige Ansichten, wie sie sich nicht nur in England verbreitet hatten. Während des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts fesselten Themen wie Prädestination, Erwählung, Verwerfung, Ausmaß und Wert der Sühne und das Beharren der Heiligen das Bauerntum Schottlands. Aus Schottland griffen diese Lehren nach England und Irland und gelangten über den Atlantik in den Westen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Schottland das »Mutterland des modernen Presbyterianismus« ist.
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