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7) Diese Lehren sollten öffentlich gelehrt und gepredigt werden
Nicht nur die Lehre von der Prädestination, auch alle anderen bestimmten Lehren des Calvinismus sollten öffentlich gelehrt und gepredigt werden, so dass der echte Gläubige wissen darf, als Einzelner spezieller Gegenstand der Liebe und Barmherzigkeit Gottes zu sein, dass er Bestätigung erfährt und in der Versicherung seiner Errettung gestärkt werden möge. Was für ein Unglück für die Wahrheit, die ihrem Urheber so viel Ehre zukommen lässt; diesem Fundament der Seligkeit des Menschen, welches unterdrückt oder den Theologen überlassen bleibt! Die Lehre von der Vorherbestimmung sollte dem Christen eine der tröstlichsten in der Schrift überhaupt sein! Es gibt kaum eine unverwechselbar christliche Lehre, die in aller Reinheit und Fülle gelehrt werden kann, ohne einen Bezug zur Prädestination zu haben. Die Lehren sind wechselseitig aufeinander bezogen und ineinander verwoben, so dass jede mit jeder zusammenhängt; die Lehre von der Prädestination vereinigt und organisiert alle anderen Lehren. Ohne sie können die anderen Lehren nicht im rechten Licht gesehen werden, noch ihre beziehungsweise Wichtigkeit richtig eingeschätzt werden. Was den Platz der Prädestinationslehre im Christentum angeht, schreibt Zanchius:
»Der ganze Katalog der Künste hat so etwas wie einen inneren Zusammenhang, eine wechselseitige Bedingtheit; er ist durch eine Art wechselseitige Beziehung gekennzeichnet, bei der jede Kunst mit der anderen zusammenhängt. Dasselbe kann auch von dieser wichtigen Lehre gesagt werden: Sie ist das Band, die das ganze christliche Lehrgebäude zusammenhält und ohne welche das Christentum wie ein Bau aus Sand leicht auseinander fallen kann. Sie ist der Zement, der die ganze Fabrik zusammenhält, oder besser gesagt, sie ist die Seele, die dem Ganzen erst das Leben einhaucht. Sie ist mit dem ganzen Entwurf der evangelischen Lehre aufs innigste verwoben, so dass, wird sie ausgeschlossen, die ganze Lehre verbluten muss.«276276 Girolamo Zanchi, Predestination, S. 124.
Wir haben den Befehl: »Predige das Evangelium«. Wenn wir einen Teil auslassen oder verschweigen, dann nehmen wir diesen Befehl nicht ernst. Kein Diener des Evangeliums kann sich die Freiheit nehmen, Stellen aus seiner Bibel herauszuschneiden, weil sie ihm nicht gefallen. Doch ist es nicht genau das, was geschieht, wenn man eine solch wichtige Lehre einfach verschweigt? Paulus konnte zu den Neubekehrten sagen: »Nichts von dem, was dienlich sein konnte, habe ich euch vorenthalten. Ich habe es euch gepredigt und euch gelehrt, öffentlich und von Haus zu Haus. … Darum beteuere ich euch am heutigen Tag: Ich bin rein vom Blut aller. … Denn ich habe nichts verschwiegen, sondern euch den ganzen Ratschluss Gottes verkündet« (Apg 20,20.26.27). Wenn ein Diener des Wortes heute diese Worte in den Mund nimmt, dann soll er sich davor hüten, eine solche Lehre zu verschweigen! Paulus bezog sich wiederholt darauf. In seinem Brief an die Römer (Kap. 9 — 11) und an die Epheser (Kap. 1 — 2) finden sich die wichtigsten Stellen dazu. Im Römerbrief brachte er diese Dinge vor die ganze Welt; er stempelte ein universales Imprimatur darauf; und wenn er diese Dinge für so wichtig erachtete, dass er sie den Stammchristen der jungen römischen Gemeinde mitteilte, die er noch gar nicht besucht hatte, dann dürfen wir davon überzeugt sein, dass sie auch für uns wichtig sind. Christus und die Apostel lehrten diese Dinge, und das nicht nur einigen wenigen, sondern den Volksmengen. Es findet sich kaum ein Kapitel im Johannesevangelium, das sich nicht auf die eine oder andere Weise darauf bezöge und Erwählung bzw. Verwerfung erwähnte. Wenn der nüchterne Hausverstand geradeheraus fragt: »Stammt die Lehre der Prädestination aus der Bibel?«, dann muss die Antwort ein deutliches Ja! sein, egal ob AT oder NT!
Das Westminster-Bekenntnis spricht ausdrücklich über diese Lehre. Also sollen auch wir sie lehren und erklären, so weit das möglich ist. Paulus fordert uns auf, »die ganze Waffenrüstung Gottes« anzulegen, doch was für ein großer Teil dieser Rüstung fehlt dem christlichen Ritter, wenn er die große Lehre der Prädestination ablehnt! Augustin tadelte jene, die diese Lehre einfach verschweigen, und wenn er manchmal bezichtigt wurde, diese Lehre zu freimütig zu verkünden, wies er die Vorwürfe zurück mit dem Hinweis, dass wir dort wohl folgen können, wo die Schrift uns vorangeht. Luther und speziell Calvin haben diese Wahrheiten stark betont; Calvin entwickelte sie so klar und kraftvoll, und deshalb wurde das ganze Lehrgebäude nach ihm benannt. Nicht nur die Ursprungsländer der Reformation, sondern in weiterer Folge Holland, Schottland, England zur Zeit der Westminstersynode und auch Amerika — zumindest an den Anfängen seiner Geschichte — predigten diese Lehren öffentlich. Dadurch kam es in allen Bevölkerungsschichten zu tiefen religiösen Überzeugungen. Calvin war davon überzeugt, dass die Lehre von der Erwählung das Zentrum des Glaubensbekenntnisses sein muss und dass die Kirche sehr bald schon jene wundervolle Lehre begraben und vergessen würde, wenn sie ihr nicht eine zentrale Stelle einräumte. Jene Gemeinden, die diese Lehre nicht betonten, egal ob in England, in Schottland, in Holland, den Vereinigten Staaten oder auch Kanada, sind der beste Beweis für die Ansicht Calvins: Sie haben diese Lehren komplett vergessen.
Ein königlicher Bote muss seine Botschaft genauso weitergeben, wie er sich erhalten hat, und daher darf die größte aller Lehren — die Vorherbestimmung zum ewigen Heil — nie und nimmer verschwiegen werden.
»Ein Botschafter muss die ganze Nachricht an sein Ziel bringen, mit der er beauftragt worden ist. Er darf nichts davon auslassen, sondern muss die Gedanken seines Auftraggebers ohne allen Rückhalt wiedergeben. Er darf weder mehr noch weniger mitteilen, als ihm der königliche Hof aufgetragen hat, sonst fällt er in Ungnade oder verliert seinen Kopf. Jeder Diener des Evangeliums sollte dies wohl bedenken!«277277 Zanchius, Predestination, S. 124.
Es handelt sich hier um Lehren, die ausdrücklich aus göttlicher Offenbarung stammen. Sie sind dazu angetan, die Ehre Gottes zu befördern; sie trösten und ermutigen die Erwählten und lassen den Sünder ohne Entschuldigung. Es ist wahr: Der Mensch hört nicht gerne, dass er ein vollkommen hilfloser Sünder ist. Eine solche Lehre ist ihm zu demütigend. Wenn er aber ohne Christus verlorengeht, ist es besser, er hört sie so bald wie möglich. Wenn wir unseren Mitmenschen diese Botschaft verschweigen, ist dies nichts als Unaufrichtigkeit gegenüber unserem Herrn — wir handelten fahrlässig. Sie zu ignorieren bedeutete, zu handeln wie ein Arzt, der eine Operation, die seinem Patienten das Leben retten könnte, verweigert, weil er dem Patienten durch die Operation Schmerzen zufügen müsste. Wenn diese Wahrheiten furchtlos und couragiert gepredigt würden, dann kröchen der Modernismus und der Unglaube nicht so einfach in unsere Gemeinden, wie es heute der Fall ist. Die Anzahl der bekennenden Christen wäre vielleicht kleiner, doch die Christen wären loyaler und wirksamer in ihrem Tun.
Die Predigt unserer Lehren wird freilich zu einigen Kontroversen führen. Doch eine Kontroverse darf nicht per se schon als schlecht angesehen werden. So lange es Irrtümer gibt, gibt es auch Kontroversen. Die Angriffe der Heiden und der Häretiker auf die Lehren der frühen Kirche und des Mittelalters zwangen die Gemeinde Christi dazu, ihre Lehren zu überdenken, sie besser zu formulieren, sie zu erklären, zu reinigen und zu verstärken. Sie zwangen sie zu genauerem Bibelstudium. Eine Reihe brillanter Geister entstammen dieser Kirche; sie schrieben hervorragende Bücher und Artikel über den christlichen Glauben. Dies bereicherte die Gemeinde Christi um viele Früchte geistlicher und intellektueller Natur.
Es stimmt nicht, dass die Leute heutzutage keine lehrmäßigen Predigten mehr hören wollen. Der Diener des Evangeliums glaube an seine Lehren, trage sie mit Überzeugungskraft und aller Lebendigkeit vor und er wird sehen, dass er auf ein dankbares Publikum treffen wird. Wir sehen heute viele Menschen sich von der öffentlichen Diskussion um soziale Themen, Politik und auch ethische Fragen abkehren und erleben eine verstärkte Zuwendung zum Okkulten und Esoterischen. Wir sind geistig in vieler Hinsicht ärmer geworden, weil wir uns in unseren theologischen Disputen verheddert haben und vor lauter Verwirrung diesen großen Lehren längst nicht mehr gerecht werden. Wenn sie korrekt gepredigt würden, brächten sie nicht nur Interesse hervor, sondern auch Wirkung. Es ist meine Erfahrung als Bibellehrer, dass kein anderes Thema die Studenten so elektrisiert und fasziniert wie eben diese Lehren. Wir werden uns fragen müssen: Wie rechtfertigt die Presbyterianische Kirche ihr Dasein, wenn sie dem Calvinismus nach und nach zu verstehen gibt, dass sie ihn nicht länger braucht, dass er nicht länger notwendig sei? Unsere geistliche Schwäche ist vielfach auf die Tatsache zurückzuführen, dass unsere Gemeinde nur mehr wenig von den Lehren des Presbyterianischen Systems erfährt; dieses fehlende Wissen hat uns direkt in die Hände der ökumenischen Bewegung getrieben, und diese Bewegung versucht, Kirchen aller Couleur mit einem minimalen Gehalt an biblischer Lehre unter einen Hut zu bringen. Die Prädestinationslehre ist eine Lehre für gestandene Christen. Nichtchristen gegenüber muss in Predigt und Verkündigung dieser Lehre allerdings große Zurückhaltung und Vorsicht geübt werden. Es ist beinahe unmöglich, einen Nichtchristen von ihrer Wahrheit zu überzeugen, denn das Herz eines Nichtwiedergeborenen wird gewöhnlich gegen diese Wahrheit rebellieren.
Man muss zuerst die einfacheren Wahrheiten gemeistert haben, bevor man daran geht, auch diese Lehre zu erklären, sonst wird sie allzu leicht missverstanden und kann einen sehr leicht in noch tiefere Verzweiflung bringen. Den Ungläubigen und Neubekehrten gegenüber besteht unsere Aufgabe darin, die Arbeit des Christen im Heilsweg zu betonen: Glaube, Reue, Erneuerung des Denkens und des Handelns. Diese elementaren Schritte wollen der beginnenden Erweiterung des Gewissens vorausgehen. In diesem Zustand muss vorerst noch Zurückhaltung über jene tieferen Wahrheiten geübt werden, die mit dem Handeln Gottes zu tun haben. Auch in der Mathematik beginnen wir ja nicht mit Algebra und Statistik, sondern mit einfachen Aufgaben der Arithmetik, und so wird es auch hier zunächst sinnvoll sein, mit den elementaren Wahrheiten zu beginnen. Nachdem der Christ gerettet ist und die ersten Schritte auf dem Weg hinter sich gebracht hat, sieht er, dass seine Erlösung in erster Linie dem Heilshandeln Gottes zuzuschreiben ist und seine Entscheidung nur Antwort auf dieses Handeln war, mithin, dass er eben aus Gnade errettet ist und nicht aufgrund irgendwelcher eigener Handlungen.
Es ist, wie es Calvin ausgedrückt hat: Die Prädestinationslehre ist kein Thema, über das sich Kinder den Kopf zerbrechen sollten. Dazu sagt Strong:
»Diese Lehre wird man als fortgeschritten bezeichnen müssen; man wird ihrem Verständnis reifes Denken und tiefe Erfahrung entgegenbringen müssen. Der Neubekehrte mag weder Wert noch Wahrheitsgehalt dieser Lehre erkennen können, doch im Laufe der Zeit mag sie ihm zum starken Halt werden, auf den er sich stützen kann.«278278 Strong, Systematic Theology, S. 368.
Ja, es stimmt: Diese Lehre kann weder von Unbekehrten noch von Neubekehrten angemessen gewürdigt werden, aber sie sollte Gemeingut all jener sein, die schon ein gutes Stück Weg im Christentum gegangen sind.
Es ist bemerkenswert: Als Calvin seine »Institutio« verfasste, hat er diese Lehre erst in den späteren Kapiteln behandelt. Er untersuchte erst die anderen christlichen Lehren und überging einstweilen die Lehre von der Prädestination wohlüberlegt auch dort, wo man sie natürlicherweise erwartet hätte. Erst im späteren Teil seiner theologischen Abhandlung wird sie ganz entwickelt und zur Krone und Ehre des ganzen Systems gemacht.
Beim Predigen dieser Lehre soll darauf geachtet werden, nicht einzelne Punkte davon in ungebührlicher Weise zu übertreiben, sondern stets darauf hinzuweisen, dass sie nicht auf Willkür, sondern auf der Weisheit und Liebe Gottes basiert.
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