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Bemerkungen.

[. . .] Eckige Klammer bedeutet, dass ich die Stelle der Vorsicht oder dem Missverstehen eines Schreibers zuzuschreiben geneigt bin — wiewohl auch E. selbst nicht weniger klug war als andere tapfere Menschen.

S. 14. „Mittel, Wesen, Werk.“ Diese und manche andere Worte — „rein“ (lûter) vor allem, das absolut oder abstrakt bedeutet — sind feste technische Ausdrücke, meist Uebersetzungen aus dem Lateinischen. Es wäre aber falsch gewesen, unsere abgeglätteten Ausdrücke dafür zu setzen; es muss dem Leser bewusst bleiben, dass die Zeit E.’s jung war; dass es sich um eine improvisierte Sprache handelt; um Worte, die erst errungen und erbildet sind.

S. 15. „Niemand rührt an den Grund der Seele als Gott allein.“ Ich weiss wohl, dass wir in all diese Worte andere Nuancen legen; dafür gehen uns tausend Feinheiten aus der Situation E.’s verloren. Uebrigens empfiehlt es sich dringend, aus dem Poetischen und Gesteigerten immer 236den nüchternen Sinn auszuschälen. Man soll nicht übersehen, dass E., wenn er sagt: das Bild der Kreatur habe in den Kräften der Seele Herberge empfangen, damit kaum anderes sagen will als: die Vorstellung des Objekts sei mit Hülfe der Sinnesorgane appercipiert worden.

S. 17. „und in keiner andern.“ Man beachte, wie E. diese und immer wieder solche Bemerkungen unterstreicht. Es steckt für uns kolossal viel Ketzerei hinter dieser symbolischen Deutung von der Geburt des Gottessohnes. Was uns aber Ketzerei ist, erklärt uns vielmehr allein die Macht des Christentums über den tiefen, reichen Geist des Mittelalters. Man nahm nicht nur das Hohelied symbolisch, sondern auch die Erzählungen vom Leben und Sterben des Heilands. Christen gibt es nur, solange der symbolische Gehalt der Ueberlieferung so überwältigend wirkt, dass die Frage nach der historischen Tatsächlichkeit gar nicht aufkommt. Den Russen (Dostojewskij, Tolstoj) geht es heute noch so, nur dass ihnen nur an ethischen Symbolen, gar nicht an erkenntnistheoretischen gelegen ist. In Westeuropa aber hörte das Christentum in dem Augenblick auf, wo man sich zwingen wollte, an die Mythen als an lebenentscheidende Tatsachen zu glauben, weil man zur Umdeutung der Symbole nicht mehr stark genug war. Diese 237Art Glaube: in der Vergangenheit, an einem bestimmten Ort, sei ein für allemal Heil widerfahren, ist nur noch armseliger Erdenrest einer gestorbenen Religion; der gestaltende Geist hat sich verflüchtigt. Seitdem sind für unsere Orthodoxie alle echten Christen heillose Ketzer.

S. 20. „übergöttischen“ — mhd. „übergotten.“ Lasson schlägt vor, „überguoten“ zu lesen; völlig grund- und sinnlos. Ueberhaupt — Lassons Konjekturen — — —

S. 21. „unerkannte Erkenntnis"; schon vorher „Unwissen": man ist sehr versucht, an solchen Stellen „unbewusst“ und „Unbewusstheit“ zu setzen. Aber man muss E. tiefer nehmen als Hartmann.

S. 21. „alles Gute“ u. dgl. an andern Stellen: möglichst unethisch, amoralisch zu verstehen; bei E. oft und oft zu beachten.

S. 26. „seelischer Zweck.“ Seliges Ende, wie der Leser des Mhd. aufzufassen geneigt ist, wäre Moralgefasel, das man erst bei späteren „Mystikern“, aber nicht bei E. suchen darf.

S. 26. „Werk.“ Die Stelle wird am besten verstanden, wenn man Werk mit „Organ“ übersetzt.

S. 29. „Ueberform.“ An solchen Stellen ist es schwer zu entscheiden, ob der Ausdruck ein starker und kühner, oder ein geläufiger und 238matter ist Jedenfalls ist „überformet“ im Anschluss an das lateinische „transformare“ entstanden; vielleicht also klang es E.’s Zeitgenossen so glatt und unauffällig und anschauungslos wie uns das Wort „umgestaltet“. Wahrscheinlich ist das aber doch nicht, denn E. wird nicht umsonst die undichterische, bildlose — obwohl immer noch lebendige — lateinische Sprache nicht mehr ertragen haben. Jedenfalls habe ich in solchen zweifelhaften Fällen die seltene Ausdrucksweise vorgezogen, zumal der Sinn ja betrüblicherweise gar sehr derselbe bleibt: auch wenn sich die Sprache übergipfelt und auf den Kopf stellt, ist die „Ueberform“ nichts anderes als eine unbekannte und nicht weiter zu beschreibende Veränderung.

S. 30. „Empfangen.“ Wer das mhd. „lîden“ mit „leiden“ wiedergeben wollte, trüge in E. eine Sorte Mysticismus hinein, die in diesen Zusammenhängen ganz fern von ihm war. Es bedeutet lediglich Passivität, wobei E. mehr an ein erfreuliches Beschenktwerden als an Schmerz erleiden denkt. Es berührt sich meist mit dem Sinn des Wortes „vernehmen“ (Vernunft!), das E. lieber anwendet als unser „wahrnehmen“. Diese seine Freude an der passiven Vernehmung im Gegensatz zur aktiven Wahrnehmung hängt damit zusammen, dass ihn das Hören, dessen Eindrücke 239mehr seelischer Art sind, das die Aussenwelt in subjektive Gefühle verwandelt, wertvoller dünkte als das materialisierende Sehen, das die Aussenwelt, die Bilder und Kreaturen, herstellt und von uns trennt. Um deswillen ist das „Leiden“ die Vereinigung von Ich und Welt, von Seele und Gott, aber nicht, wie schon E.’s nächster und begabtester Jünger, Seuse, in seinen dichterischen Schriften und Bekenntnissen vertrat, um des Schmerzes willen. Immerhin schwingt freilich schon bei E. diese Nuance des Leidens manchmal etwas mit. Keine Zeit kann aus ihrer Sprache heraus; und so ist es möglich, dass die Askese des Mittelalters zu grossem Teil auf diese Doppelbedeutung des theologisch-psychologischen Begriffs llden (pati), in Verbindung natürlich mit der „Passion“ Jesu Christi, zurückgeht. Das schmerzliche Leiden war ein beglückendes Empfangen; wer still hielt, wurde beschenkt; es war also nützlich zu leiden. — Zu derselben Stelle des Textes und zu vielen andern sei noch bemerkt: „Liebe“ und „lieben“ hat bei E. fast immer die Nebenbedeutung, oft vorwiegend die Bedeutung: „Wille“ und „wollen“. Wo er von „Liebe“ und „Erkenntnis“ spricht, meint er „Wille und Vorstellung“.

S. 39. „Buch der Geheimnisse“ — Apokalypse.

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S. 48. Fast allen Predigten E.’s ist ein Vulgata-Text vorgesetzt, der in dieser Ausgabe meist wegfiel.

S. 68. „Einer unserer ältesten Meister": Kratylos.

S. 72. „eine Mücke.“ Der Begriff des Unendlichen fehlt E. vollständig, fürs Kleine wie fürs Grosse; für letzteres sagt er etwa: „so weit du zählen kannst.“ — Dass ihm die Correlatbegriffe „positiv“ und „negativ“ fehlen, wird der Leser aus der Rede vom „Nichtwissen“ entnommen haben, man erinnere sich der mühsamen und eben darum wundervollen Anstrengung, das mystische (positive) Nichtwissen vom gemeinen zu unterscheiden.

S. 73. „Er gebiert seinen Sohn.“ Dazu und zu manchen anderen Stellen: die mythenbildende Kraft war damals noch nicht gestorben. Das Christentum lebte, weil es noch nicht fertig war; weil es die Form war, in der die junge, ringende Wissenschaft sich äusserte. Es ist oft auch in E.’s Bewusstsein nicht zu unterscheiden, was Symbolik ist, und was er naiv glaubt, obwohl er es im Moment erfindet (schaut). Alles Erfinden und Auffinden ist bei beginnenden Menschen ein Schauen und eine Offenbarung; alle geniale Betätigung ein Versinken in Gott. Ich empfehle dem Leser, sich das Wort „Mystik“ ab und zu 241mit „Genialität“ zu übersetzen, dabei aber zu erwägen, dass er damit das Unbekannte durch etwas keineswegs Bekanntes ersetzt.

S. 119 ff. Die Predigt „Von der Erneuerung des Geistes“ enthält viel ungeniessbare Scholastik, aber dazwischen tiefste Weisheit. Das ist oft so bei E., die Fragmente sind fast alle aus bergehohem Wortschutt ausgegraben; ein Zeichen, dass das, was uns Asche und tot ist, seinerzeit ein notwendiges Denkelement war. Das Scholastische in dieser Predigt — und auch sonst manchmal; wäre dadurch nicht das dichterisch Grosse verloren gegangen, hätte ich daran gedacht, alles Ueberlieferte in Aphorismen aufzulösen — nehme der Leser als Beispiel für das Viele, das in dieser Ausgabe weggelassen ist. In diesem geringen Masse muss das geistige Milieu E.’s den Lesern vertraut werden. Denn ohne gründliche Kenntnis der Scholastik ist E. historisch nicht einzuschätzen; er wurzelt völlig darin. Man darf nicht übersehen, dass er aus einer völlig andern Sprache (Weltanschauung) heraus zu Resultaten kam, die sich mit unsern kühnsten Phantasien wie mit unsrer abgründlichsten Skepsis so nah berühren. Beachtete man nur das Sprachliche, das bewusst Gewordene, so müsste man sagen, er sei aus lauter Irrtümern und falschen Prämissen zu dem gekommen, was wir fast Wahrheit 242nennen möchten. So geht es immer, und uns nicht besser.

E. war also scholastischer Realist, ein Anhänger der Ideenlehre Platons, den er den „grossen Pfaffen“ nennt. Die Ideen nennt er „vorhergehende Bilder“, versteht aber darunter kaum etwas anderes als was wir mit Zuhülfenahme des Begriffs der Vererbung „Art“ oder „Gattung“ nennen, die ja wirklich das sind, was den konkreten Individuen vorhergeht, zu Grunde liegt. Die „vorhergehenden Bilder“ sind in Gott, und „daher gebiert der Mensch einen Menschen, der Löwe einen Löwen, der Falke einen Falken.“ „Die Rose wächst aus einer Rose, nicht aus einem Kohlkopf.“ Von seinem grossen Meister Thomas zitiert er das Wort: „Die vorhergehenden Bilder sind ein Ursprung oder Anfang der Schöpfungen aller Kreaturen.“ Damit soll aber nicht die Konstanz der Arten im Gegensatz zur Variabilität behauptet werden; diese Frage war noch kaum geboren — obwohl E. in der Predigt „Von der Natur“ auch daran rührt —; sondern es wird der Zusammenhang aller Individualorganismen in einer höheren verborgenen Einheit betont — wir nennen’s Vererbung, statt Anfang oder Ursprung sagen wir Prinzip, tun aber mit dieser unsinnig-unsinnlichen Sprechweise bedeutend weniger zur Formulierung des Rätsels, als die Realisten des 243Mittelalters getan haben. E. hätte sich gewiss — sehr anders als unsre Darwinisten — mehr über die Vererbung als über die Anpassung gewundert. Ihn erstaunte nicht, dass die Grasspinnen so ungleich, sondern dass sie so gleich seien.

Ich bemerke hier, dass sich in dem, was in diese Ausgabe nicht aufgenommen ist, viel Bezeichnendes für die Naturanschauung E.’s und seiner Zeit findet, wie auch sonst manches kulturhistorisch Interessante. Aber dies Buch verfolgt durchaus keine historischen Ziele; wer Geschichte erforschen will, muss sich ja jeden Falles an das Original halten. Ebensowenig geht dieser hier herausgebrachte Meister Eckhart auf Erbauung oder Ethik; sonst hätte ich z. B. die in ihrer Art trefflichen Reden in collationibus nicht weglassen dürfen. Aber mein Ziel ist lediglich: der lebendige Eckhart. Er wirke in diesem Bande durch seine eindringende Skepsis, durch sein Ringen um die Welterkenntnis und Selbsterkenntnis, durch seine dichterische Gewalt, seine königliche Sprache und sein grundgütiges lebensfreudiges Wesen. Alles andere geht nur die Gelehrten an.

Eine einzige Stelle bleibt mir noch ausser dem Zusammenhang anzuführen. Sie möge hier stehen, da die Predigt, aus der sie stammt, die Uebertragung nicht lohnt, und da sie auch für die Fragmente 244zu abgerissen wäre. Mitten in der schauderhaftesten Wortklauberei findet sich der Satz: „Und also bedeutet das Wort „Ich“ die Istigkeit göttlicher Wahrheit, und es ist ein Beweis dafür, dass etwas ist.“ Eckhart sagt also, feiner als des Cartesius Cogito ergo sum: Cogito, ergo est aliquid.

S. 127. „Es hat jedes das, mit dem es eins ist.“ Wir sagen spezifische Sinnesenergie, und wissen auch nicht viel mehr.

S. 144. „Vom persönlichen Wesen.“ Diese Predigt ist uns nur in einem späten und verderbten Text überliefert. Ich habe versucht, den Sinn einigermassen zu rekonstruieren; man wird aber gut tun, sich an das zweifellos Echte zu halten, also nicht an das Syntaktische, sondern an die Terminologie.

S. 196. „so hat sie die Seele doch sprachlich mit Unterscheidung.“ Sprachlich — im Original steht „redelich“. Es lässt sich hier wie an manchen andern Stellen nicht entscheiden, ob die Nuance „Sprache“ oder die Nuance „Vernunft“ vorwiegt. In: „redelicheit“ ist die Nuance „Sprache“ fast verloren gegangen, es bedeutet „Vernünftigkeit.“ Wie auch immer — der Mittelhochdeutsche dachte an die Rede, wenn er von der Vernunft sprach, dagegen gar nicht an das, was 245wir heute „Redlichkeit“ nennen. Indessen ist hier die Bedeutung „sprachlich“ die wahrscheinlichere, weil kurz vorher von der „Sprache der Sprechenden“ (rede der redenden) die Rede war.

S. 230. „Das erste in der Meinung ist das letzte im Werk.“ Dieser Satz findet sich häufig bei E.; er ist seine in ihrer Knappheit vorzügliche Definition des Zweck s. Was zuletzt in die Erscheinung tritt, muss von Anfang an dagewesen sein — als vorhergehendes Bild oder Idee. Nicht das Erworbene im Individuum ist das Göttliche, sondern das Menschtum, das ewige Erbteil. Unsere eben erst sich regende Neoteleologie, die als Widerspruch oder zur Ergänzung der Kausalitätshypothese auftritt, wird sich ruhig bei den Realisten des Mittelalters umsehen dürfen. Der alte Mann mit dem weissen Bart ist so gründlich tot, dass man wirklich daran gehen darf, den durchaus nötigen Begriff „Zweck“ neu zu deuten, ohne zu fürchten, der Tote könne dadurch wieder belebt werden. — Bei E. ist das, was allen gemein ist, nicht das Gemeine, wie wir es jetzt verstehen, auch nicht das Allgemeine und Philisterhafte, sondern das Erlesene, Besondere, Urindividuelle. Er war eben ein „Realist“ andern Stils als unsere Realitätenkrämer; die „Natur aller Menschen“ ging ihm in die ewige Vergangenheit hinab, die ihre Zwecke in die Gegenwart wirkt. Näheres über 246diese Zusammenhänge in meiner Schrift: „Skepsis und Mystik“, die von F. Mauthners Kritik der Sprache ausgeht und immer wieder zu Eckhart zurückkehrt.

Das ist der Meister Eckhart,
der auf ein Haar verbrennet ward.
Buch, geh nun aus in seinem Namen.
Und meide dumpfe Geister.

Amen.

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