Contents

« Prev 17. Von Gott und der Welt. Next »

17.

Von Gott und der Welt.

Das Allerbeste, das Gott dem Menschen je tat, das war, dass er Mensch ward. Davon will ich eine Geschichte erzählen, die wohl hierher gehört. Es war ein reicher Mann und eine reiche Frau, da stiess der Frau das Unglück zu, dass sie ein Auge verlor, dessen ward sie sehr betrübt. Da kam der Herr, zu ihr und sprach: „Frau, warum seid ihr so betrübt? Ihr sollt darüber nicht betrübt sein, dass ihr euer Auge verloren habt“ Da sprach sie: „Herr, ich bin nicht darum betrübt, weil ich mein Auge verloren habe; ich bin darum betrübt, weil es mich dünkt, ihr müsstet mich nun weniger lieb haben.“ Da sprach er: „Frau, ich habe euch lieb.“ Danach nicht lange nachher stach er sich selbst ein Auge aus und kam zu der Frau und sprach: „Frau, damit ihr nun glaubt, dass ich euch lieb habe, habe ich mich euch gleich gemacht: ich habe nun auch nur noch ein Auge.“

113

Die Meister sagen: alle Kreaturen wirken daraufhin, dass sie gebären und sich dem Vater gleich machen wollen. Ein anderer Meister sagt: Jede wirkende Ursache wirkt allein um ihres Zweckes willen, dass sie Rast und Ruhe in ihrem Zwecke finde. Dies ist der Mensch, der konnte gar schwerlich glauben, dass ihn Gott so lieb hat, bis Gott endlich sich selbst ein Auge ausstach und menschliche Natur annahm. Dies ist Fleisch geworden.

In principio. Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Ein Meister sagt: Alle Kreaturen wirken nach ihrer ersten Lauterkeit und ihrer allergrössten Vollkommenheit. Also hat Gott getan. Er hat die Seele nach der allerhöchsten Vollkommenheit geschaffen und hat in sie gegossen alle seine Klarheit in der reinen Erstheit und ist doch unvermischt geblieben.

Nun merke! Ich sprach neulich an einem Ort: Als Gott alle Kreaturen schuf, sollte er da nicht vorher etwas geschaffen haben, das ungeschaffen war, das Bilder aller Kreaturen in sich trug? Das ist der Funke, der ist Gott so nahe, dass er ein einiges ungeschiedenes Eins ist und das Bild aller Kreaturen ohne Bild und über Bild in sich trägt.

Eine Frage ward gestern unter grossen Gelehrten erörtert. Mich wundert, sprach ich, dass niemand das allergeringste Wort ergründen kann, 114und fragt ihr mich, ob ich, wenn ich ein einziger Sohn bin, den der himmlische Vater ewiglich geboren hat, dann ewiglich Sohn gewesen sei, so antworte ich: ja und nein. Ja, ein Sohn: indem der Vater mich ewiglich geboren hat; und nicht Sohn: entsprechend der Ungeborenheit. In principio. Hier ist uns zu verstehn gegeben, dass wir ein einziger Sohn sind, den der Vater ewiglich aus dem verborgenen Verstand der ewigen Verborgenheit geboren hat, indem er im ersten Beginne der reinen Erstheit blieb, die da eine Fülle aller Reinheit ist. Hier habe ich ewiglich geruht und geschlafen in der verborgenen Erkenntnis des ewigen Vaters, innen bleibend, ungesprochen. Aus der Lauterkeit hat er mich ewiglich geboren als seinen eingeborenen Sohn selber in das Bild seiner ewigen Vaterschaft, damit ich Vater sei und den gebäre, von dem ich geboren bin. In gleicher Weise, als ob einer vor einem hohen Berge stünde und riefe: „Bist Du da?“ und der Schall und der Hall riefe wieder: „Bist Du da?“ Oder er spräche: „Komm heraus!“ und der Schall antwortete: „Komm heraus!“ Ja, wer in dem Lichte das Holz sähe, da entstünde ein Engel und ein Vernünftiger und nicht allein vernünftig, es würde lauter Vernunft, in der reinen Erstheit, die da eine Erfüllung aller Reinheit ist. So tut Gott: er gebiert seinen eingeborenen Sohn 115in das höchste Teil der Seele. Und während er seinen Sohn in mich gebiert, gebäre ich ihn wieder in den Vater. Das war nicht anders, als dass Gott den Engel gebar, während er, der Gott, von der Jungfrau geboren wurde.

Ich dachte (es ist schon manches Jahr her), wenn ich gefragt würde, wieso jede Grasspinne der andern so ungleich wäre, dann antwortete ich: dass alle Grasspinnen so gleich sind, das ist noch wunderbarer. Ein Meister sprach: dass alle Grasspinnen so ungleich sind, das kommt von der Verschwendung der göttlichen Güte, die er verschwenderisch in alle Kreaturen giesst, damit seine Herrlichkeit desto mehr offenbart werde. Da sprach ich: es ist wunderbarer, dass alle Grasspinnen so gleich sind, und sprach: wie alle Engel in der reinen Erstheit alleins sind, so sind alle Grasspinnen in der reinen Erstheit alleins, und alle Dinge sind alleins.

Ich dachte manchmal, wenn ich mich im Freien erging, der Mensch könne mit der Zeit dazu kommen, dass er Gott zwingen kann. Wäre ich hier oben und spräche zu ihm: „Komm herauf!“ das wäre schwer. Aber spräche ich: „Setz dich hier nieder!“ das wäre leicht. So tut Gott. Wenn der Mensch sich demütigt, so kann Gott in seiner Güte sich nicht enthalten, er muss sich 116neigen und in den demütigen Menschen ergiessen, und dem Allergeringsten gibt er sich mit seinem Allermeisten und gibt sich ganz und gar. Was Gott gibt, das ist sein Wesen, und sein Wesen ist seine Güte, und seine Güte ist seine Liebe. Alles Leid und alle Freude kommt von der Liebe.

Ich überlegte unterwegs, als ich hierher gehn wollte, ich sollte zu Hause bleiben, ich würde doch nass vor Liebe. Wenn auch ihr nass geworden seid, so wollen wir es sein lassen. — Freude und Leid kommt von der Liebe. Der Mensch soll Gott lieben, denn Gott liebt den Menschen mit all seiner höchsten Vollkommenheit. Die Meister sagen, alle Dinge wirken daraufhin, dass sie sich dem Vater gleich gebären wollen, und sagen: die Erde flieht den Himmel; flieht sie niederwärts, so kommt sie niederwärts zum Himmel; flieht sie aufwärts, so kommt sie zu dem Niedersten des Himmels. Die Erde kann dem Himmel nicht entfliehen: sie fliehe auf oder nieder, der Himmel fliesst in sie und drückt seine Kraft in sie und macht sie fruchtbar, es sei ihr lieb oder leid. So tut Gott dem Menschen: der ihm entfliehen möchte, der läuft ihm in den Schoss, denn ihm sind alle Winkel offen. Gott gebiert seinen Sohn in dir, es sei dir lieb oder leid, du schlafest oder wachest, Gott tut das Seine. Dass der Mensch das nicht empfindet, das liegt daran, dass seine 117Zunge mit dem Unflat der Kreatur beschmutzt ist und das Salz der göttlichen Liebe nicht hat. Hätten wir die göttliche Liebe, so schmeckten wir Gott und alle die Werke, die Gott je wirkte, und wir empfingen alle Dinge von Gott und wirkten dieselben Werke alle, die er wirkt. In dieser Gleichheit sind wir alle ein einziger Sohn.

Gott schuf die Seele nach seiner höchsten Vollkommenheit, dass sie eine Geburt seines eingeborenen Sohnes sein sollte. Da er dies wohl erkannte, so wollte er herausgehen aus der heimlichen Schatzkammer seiner ewigen Vaterschaft, in der er im ersten Beginne der reinen Erstheit geblieben war und ewig geschlafen und heraus-gesprochen hat. Da hat der Sohn das Zelt seiner ewigen Glorie aufgeschlagen und ist herausgekommen aus dem Allerhöchsten, weil er seine Freundin holen wollte, die ihm der Vater ewiglich vermählt hatte, dass er sie heimbrächte in das Allerhöchste, aus dem sie gekommen ist. Darum ging er hinaus und sprang herzu wie ein Jüngling und litt Leid aus Liebe. Aber nicht für immer ging er hinaus, er wollte wieder hineingehen in seine Kammer, das heisst, in die stille Dunkelheit der verborgenen Vaterschaft. Als er ausging aus dem Allerhöchsten, da wollte er hineingehen mit seiner Braut und wollte ihr die verborgene Heimlichkeit seiner Gottheit offenbaren, 118wo er mit sich selbst und mit allen Kreaturen ruht.

In principio heisst so viel wie ein Anfang allen Wesens. Es gibt auch ein Ende alles Wesens, denn der erste Beginn ist um des letzten Endes willen. Ja, Gott selbst ruht nicht da, wo er der erste Beginn ist, sondern er ruht da, wo er ein Zweck und ein Ende ist und ein Rasten alles Wesens, nicht dass dies Wesen da zunichte würde, sondern es wird da vollendet zu seiner höchsten Vollkommenheit. Was ist das letzte Ende? Es ist die Verborgenheit der Dunkelheit der ewigen Gottheit und ist unbekannt und ward nie erkannt und wird niemals erkannt. Gott bleibt darin sich selbst unbekannt, und das Licht des ewigen Vaters hat ewiglich darin geschienen, und die Dunkelheit begreift das Licht nicht. Dass wir zu dieser Wahrheit kommen, dazu verhelfe uns die Wahrheit, von der wir gesprochen haben. Amen.

119
« Prev 17. Von Gott und der Welt. Next »
VIEWNAME is workSection