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Vorwort.
Mit der Freiheit, die Liebe und Verehrung gibt, habe ich in dieser Ausgabe der Mystischen Schriften Meister Eckharts alles weggelassen, was uns nichts sagt. Meister Eckhart ist zu gut für historische Würdigung; er muss als Lebendiger auferstehen.
Johann Eckhart oder Eckehart ist zwischen 1250 und 1270 wahrscheinlich in Hochheim bei Gotha geboren. Er war Prior des Dominikanerordens in Erfurt und Vikar in Thüringen; 1300 an der Pariser Universität; 1304 Provinzialprior von Sachsen, 1306 Generalvikar von Böhmen, 1314 Magister und Professor der Theologie in Strassburg, später in Köln, 1317 wird er nach Frankfurt versetzt. 1326 leitet der Kölner Bischof v. Ochsenstein den Inquisitionsprozess gegen ihn ein; er appellierte an den Papst und beeilte sich 1327 zu sterben. 1329 erschien eine päpstliche Bulle, in der 26 Sätze Eckharts als ketzerisch verdammt wurden.
Die Lehrer, auf die er sich hauptsächlich 6stützt, sind: Dionysius Pseudareopagita, Augustinus, Thomas von Aquino; vermutlich hat er auch die verbotenen Schriften des Scotus Erigena gekannt. Durch Dionysius berührt er sich mit den Lehren der Neuplatoniker. Thomas und der ganze Geist seiner Zeit verbindet ihn mit den „Realisten“, so dass er wie sie die letzten und leersten Abstrakta für konkrete Dinge hält. Anderseits bringt ihn aber das auch dazu, die Gattung und Art als eine höhere Wirklichkeit anzusehen als die Individuen; so hat er starke Vorahnungen — trotz ganz primitiver Naturkenntnisse — der Theorieen, die teils infolge, teils entgegen den Lamarck-Darwinschen Aufstellungen bei uns im Werden sind.
Er ist ebensosehr Erkenntnistheoretiker und Kritiker als Mystiker. Er ist Pantheist, aber fast im umgekehrten Sinne als das, was man seit Spinozas Wiedererweckung darunter versteht. Dieser letztere Pantheismus löst — nicht im Sinne Spinozas freilich — den Gottesbegriff in der materiellen Welt auf; Eckhart dagegen löst die Welt und den Gott in dem auf, was er manchmal Gottheit nennt, was unaussprechbar und unvorstellbar ist, was aber jedenfalls etwas jenseits von. Zeit, Raum und Individualisierung und etwas Seelenhaftes ist. An die Stelle des Dinges setzt er eine psychische Kraft; an Stelle von Ursache 7und Wirkung ein Fliessen. Sein Pantheismus ist Panpsychismus; zugleich aber erklärt er, nicht zu wissen, was die Seele sei. Seine Mystik ist Skepsis; freilich aber auch umgekehrt.
Die christlichen Dogmen und Ueberlieferungen haben für ihn fast nur symbolische Bedeutung; nur erlaubt es ihm der Zeitgeist nicht zu fragen, wie es, mit dem Verhältnis dieser Symbole zur Wirklichkeit bestellt sei. Die in der Kirche üblichen Vorstellungen betrachtet er als einer niedrigeren Stufe angehörig; aber es gelingt ihm nicht zu erkennen, dass diese Vorstellungen überhaupt keine Realität haben; vielleicht wird die Zukunft von unserm Verhältnis zu gewissen wissenschaftlichen Begriffen einmal dasselbe sagen. — Manchmal übrigens hat auch — wie wohl noch später bei Spinoza — die Vorsicht seine Einkleidung wählen helfen.
Er ist der Schöpfer der deutschen wissenschaftlichen Prosa und einer ihrer grössten Meister. Immer schreibt er als Sprechender, immer persönlich; nie fehlt der begrifflichen Darlegung der Gefühlston, und ebensowenig seinem Gefühlsüberschwang und seiner Versenkung ins abgründlich Dunkle der Zügel der Nüchternheit. Das Fernste hat er uns nah gebracht; das Nächste und gewöhnlich Scheinende hat er uns entfremdet, fragwürdig gemacht und vertieft. Er war ein 8Dichter, der aufs grösste aus war und dem grössten gewachsen. Perioden findet man bei ihm, die zum Hinreissendsten gehören, was irgend in Sprachen zu finden ist.
Seine Syntax, die er sich vermutlich vielfach im Anschluss an die gesprochene Sprache selbst geschaffen hat, habe ich nach Möglichkeit beizubehalten gesucht; ebenso wäre es verfehlt, an Stelle seiner technischen Ausdrücke, die er nach dem Muster lateinischer Scholastik hergestellt hat, die uns geläufigen blutlosen Wissenschaftsausdrücke zu setzen; bei ihm hat alles Farbe, Temperament, Ursprünglichkeit; seine Ausdrücke sind des Metaphorischen noch nicht entkleidet, sind noch nicht ausgelaugt; sie schaffen sich ihren Sinn erst während der Rede. Vielfach aber war es doch wieder nötig, die von ihm aus der Sprache der Wissenschaft in die Volkssprache übersetzten Termini wieder zurückzuübersetzen, damit das scharf in die Augen springt, was mich an dieser Ausgabe das Entscheidende dünkt: dass Meister Eckhart in all seiner Genialität nie ein mystizierender oder moralisierender Pietisterich war, dass er sich nie süsslicher tiottesminne ergeben hat, dass er nie perverser Askese gefröhnt hat: sondern dass er ein kühner Erschütterer war, der Hirne wie der Herzen, einer, der um die Welterkenntnis gerungen hat und der, lebensfreudig 9und urkräftig, die Grenzen der Sprache als ein Wissender überschritt, um jenseits seines Ichbewusstseins und des Begriffsdenkens stark und innig in der unsagbaren Welt zu versinken.
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Das allermeiste, was von ihm überliefert ist, ist für uns völlig wertlos geworden, da es nur logisches Wortgetiftel ist, das damals die Naturwissenschaft ersetzen musste, weil es an Beobachtungen und Kenntnissen fehlte. Wenn man bedenkt, wie viele angeblich philosophische, naturwissenschaftliche, medizinische Bücher aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts uns völlig unlesbar und Theologie geworden sind, wird man das besser verstehen, als wenn man glaubt, die Scholastik sei eine Spezialität des Mittelalters gewesen. Die folgende Auswahl bietet also etwa den fünften oder sechsten Teil dessen, was auf uns gekommen ist. Nichts, was Bedeutung hat, ist weggelassen.
Die Abteilung: Fragmente habe ich selbst geschaffen; es sind Bruchstücke aus Predigten, die im übrigen die Uebertragung nicht lohnten. — Die Titel der einzelnen Stücke stammen meist von mir; die mittelhochdeutsch überlieferten dürften auch nicht von Eckhart selbst gewählt sein.
10An dieser Stelle philologisch über meine Weglassungen und Textauslegung Rechenschaft zu geben, ist nicht meine Absicht, weil es für den Leser keinen: Wert hätte. Wer meine Uebersetzung kritisch prüfen will, kann von mir Auskunft erhalten.
Eine ausführlichere Einleitung wäre entweder nur eine geschickte Gruppierung dessen, was in längst vorhandenen Werken zu lesen ist; oder sie wüchse sich zu einer Geschichte der Erkenntniskritik des Mittelalters aus. Das könnte ein wunderschönes Buch werden, das sehr not tut; aber zunächst kann ich nur wünschen, dass ich es einmal schreiben werde. Dem Leser empfehle ich einstweilen, Jundts „Histoire du panthéisme populaire au moyen âge“ zu lesen; daraus wird er erfahren, dass unser Meister nicht vom Himmel gefallen ist, sondern von einer starken Zeitströmung getragen wurde.
Etliche Bemerkungen zu Einzelheiten finden sich am Schluss des Buches.
Hermsdorf (Mark).
Gustav Landauer.
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