Contents
« Prev | 11) Schluss | Next » |
11) Schluss
Wir haben den Calvinismus nun in beachtlichem Maße untersucht und seinen Einfluss auf die Kirche, den Staat, die Gesellschaft und die Bildung eindrücklich nachgewiesen. Wir haben uns auch mit den Einwänden beschäftigt, die allgemein gegen dieses Lehrgebäude vorgebracht werden: Wir haben aber auch gesehen, welch praktische Wichtigkeit diese Lehren haben. Es bleiben noch einige wenige generelle Betrachtungen zu erwähnen. Die Überprüfung von Individuen und Systemen kann mit Christi eigenen Worten erfolgen: »An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.« Der Calvinismus und all seine Anhänger werden sich einem solchen Test nur allzu gerne unterziehen. Leben und Einfluss derer, die sich zum Reformierten Glauben bekennen, sind wohl die besten und schlüssigsten Argumente zu ihren Gunsten. Smith bezieht vom
»begnadet lebendigen und überbordenden Calvinismus, den Schöpfer der modernen Welt, die Mutter zahlloser Helden, Heiliger und Märtyrer, welchen die Geschichte als großartigstes Glaubenssystem krönt, indem sie den Baum an seinen Früchten beurteilt.389389 Smith, The Creed of Presbyterians, S. 7.
Die Geschichte ist hier ohne Vorurteil: Der Calvinismus formt den Charakter und verkündet den Nationen die Freiheit — darin ragt er unter allen religiösen Systemen der Welt hervor. Wenn wir die Liste der großen Männer unseres eigenen Landes ansehen, dann finden wir eine beträchtliche Anzahl an Präsidenten, Gesetzgebern, Juristen, Autoren, Herausgebern, Lehrern und Geschäftsleuten, die dieser Kirche angehören. Jeder unparteiische Historiker wird zugeben, dass es die protestantische Revolte gegen Rom war, die der modernen Welt den ersten Vorgeschmack religiöser und ziviler Freiheit gegeben hat und dass all jene Nationen, die am meisten in den Genuss jener Freiheiten gekommen sind, auch jene sind, die am stärksten unter dem Einfluss des Calvinismus standen.
Die Quelle ziviler und religiöser Freiheit, die sich dem Calvinismus verdankt, erreicht nun die breite Front der modernen Geschichte. Wenn wir Länder wie England, Schottland und Amerika mit Ländern wie Spanien und Italien vergleichen, die niemals unter den Einfluss des Calvinismus gekommen sind, treten die Unterschiede sehr klar zutage: Der ökonomische und auch moralische Druck der römisch-katholischen Kirche hat das allgemeine Leben stagnieren lassen; auch ist die Geburtenrate ist so weit zurückgegangen, dass diese Völker kaum mehr Wachstum zu verzeichnen haben, während die Bevölkerungszahl in den anderen Ländern ständig gestiegen ist.
Ein kurzer Blick auf die Kirchengeschichte oder besser auf die protestantischen Glaubensüberzeugungen zeigt, dass gerade jene Überzeugungen zur Reformation und deren Segen geführt hatten, die heute unter dem Namen »Calvinismus« bekannt sind. Wer die Geschichte Europas und Amerikas kennt, wird der erstaunlichen Aussage Dr . Cunninghams gerne zustimmen:
»Nach Paulus hat Calvin wohl das meiste für die Welt getan.«
Dr. Smith hat sehr schön gesagt:
»Wenn wir uns daran erinnern, dass wir unsere Freiheit, unseren protestantischen Glauben und unser christliches Zuhause der Mühe und dem Blut Männern diesen Glaubens zu verdanken haben, sollte dies die Gegner des Calvinismus eigentlich zum Schweigen bringen. Der geneigte Leser wird wissen, dass diese drei Güter den Grund der besten und größten Errungenschaften unserer modernen Welt gelegt haben. Er wird vielleicht über den impliziten Anspruch erschrocken sein, dass unsere gegenwärtige christliche Zivilisation nichts als die Frucht des Calvinismus darstellt.«390390 Ebd., S. 74.
Ich wiederhole lediglich die klare Aussage der Geschichte, wenn ich behaupte, dass der Calvinismus der Glaube von Heiligen und Helden war. So sagt Froude:
»Zu jeder Zeit waren die Calvinisten die einzigen Protestanten, die für ihren Glauben gekämpft hatten. Sie waren es, die aus ihrem Glauben den Mut fassten, für die Reformation einzutreten; ohne sie wäre die Reformation verloren gewesen.«391391 Quelle nicht angegeben.
Während Jahrhunderte geistiger Tyrannei tausende Opfer einforderten, während sich der Protestantismus Englands, Schottlands, Hollands und der Schweiz mit dem Schwert verteidigen musste, war einzig der Calvinismus in der Lage, mit der Großmacht der römischen Kirche fertig zu werden. Die ungleiche Zahl seiner Märtyrer zählt zu einer seiner herrlichsten Kronen. In einer Ansprache der methodistischen Konferenz gegenüber der Presbyterianischen Allianz von 1896 hieß es:
»Ihre Gemeinschaft ist in der Tat bemerkenswert und inspirierend: Nicht nur einzelne Helden, sondern ganze Generationen treuer Seelen waren bereit, um Christi und seiner Wahrheit willen freimütig Gefängnis und selbst Tod in Kauf zu nehmen. Diese seltene Ehre schätzen sie mit vollem Recht als kostbarsten Teil ihres unbezahlbaren Erbes.«392392 Quelle nicht angegeben.
McFetridge bemerkt dazu:
»Kein anderes Glaubenssystem auf Erden kann so ausgezeichnete Märtyrer auflisten. … Fast jeder, der die Flammen der Verleugnung seines Glaubens oder der Befleckung seines Gewissens vorzog, war nicht nur ein ergebener Nachfolger Christi, sondern auch ein Nachfolger jenes Dieners Gottes, der Genf zum Licht Europas gemacht hatte — Johannes Calvins.«393393 McFetridge, Calvinism in History, S. 113.
Die moderne Welt schuldet der geistlichen Vitalität und Fruchtbarkeit dieses Systems großen Dank. Erst in den letzten Jahren ist man auf diese Tatsache aufmerksam geworden, doch wird man nicht dankbar genug sein können.
Ich habe gesagt, dass die calvinistische Theologie freiheitsliebende Völker hervorbringt. Wo der Calvinismus vorherrscht, verliert der Despotismus jegliche Grundlage. Der Calvinismus hat wie erwartet die Kirchenstruktur sehr bald schon revolutioniert: Nicht einzelne, ausgewählte Herrscher sollten die Kirche regieren, sondern ein Ältestenrat, der sich aus der Wahl aller ergibt. So war die Religion unter den Menschen, nicht über ihnen. Über die Effizienz dieser »Regierungsform« sagt der katholische Erzbischof Hughes aus New York:
»Obgleich es meine Pflicht ist, die Autorität der Generalversammlung für eine Usurpation zu halten, muss ich doch dem allgemeinen Urteil über diese Organisation zustimmen: Nach politischem Ermessen steht die Führungsqualität dieser Gemeinschaft der des Kongresses nur wenig nach. Sie strahlt vom Zentrum nach außen; darin ist sie unter allen Denominationen des Landes einzigartig.«394394 Presbyterians and the Revolution, S. 140.
Von der Freiheit und der Verantwortlichkeit der Kirche zur Freiheit und Verantwortlichkeit des Staates war es nur ein kleiner Schritt; historisch gesehen sah der Freiheitsgrund niemals tapferere und entschlossenere Männer als die Nachfolger Calvins.
»Der Calvinismus ist keine Träumerei und kein theoretischer Glaube. Ganz gegen die Ansicht seiner Gegner führt er nicht dazu, dass seine Anhänger die Hände in fatalistischer Gleichgültigkeit in den Schoß legen und die Nöte ihrer Nächsten missachten. Auch führt er nicht dazu, die schreienden Übel zu ignorieren, die wie ein scheußliches Geschwür auf der Gesellschaft liegen.«395395 Warburton, Calvinism, S. 78.
Wo immer der Calvinismus hinkam, folgten ihm wundersame moralische Veränderungen. Reinheit, Mäßigung, Fleiß, Mildtätigkeit — darin hat es den Calvinisten niemand gleichgetan.
James Anthony Froude zählt zu den fähigsten Historikern und Schriftstellern Englands. Er lehrte einige Jahre in Oxford, Englands berühmtester Universität. Er war kein Calvinist, sondern seine Schriften waren derart, dass man von ihm oft als von einem Gegner des Calvinismus gesprochen hat. Er pflegte allerdings keine Vorurteile, und die unqualifizierten Angriffe auf den Calvinismus, die in den letzten Jahren so populär geworden sind, erregten in ihm jene Ungeduld, wie sie einem redlichen Gelehrten wohl ansteht. Er sagte einmal:
»Ich fordere alle heraus, einmal darüber nachzudenken: Wie hat es wohl dazu kommen können, dass dem Calvinismus gerade in dieser letzten Zeit einige der großartigsten Männer anhingen, die je gelebt haben, wenn er tatsächlich jener harte und unvernünftige Glaube ist, als der er von der modernen Aufklärung geschildert wird? Wie kann es sein, dass jener Calvinismus, dem man solch fatale Moral nachsagt, weil er ja den freien Willen leugnet, wie kann es sein, frage ich, dass er bei seinem ersten Aufkommen immer gleich jeden Unterschied zwischen Sünde und Verbrechen zu eliminieren trachtet und das moralische Gesetz nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für den Staat aufzurichten bestrebt ist? Wenn dieser Glaube angeblich zur Knechtschaft des Geistes führen soll, wie kann es dann sein, dass gerade er Männer inspiriert hat, die heldenhaftesten Versuche zu unternehmen, jedes Joch ungerechter Herrschaft zu zerschlagen? Wenn alles vergeblich war, wenn der Patriotismus sein Angesicht in den Staub gebeugt hat und wenn aller menschlicher Mut gesunken ist, wenn der Verstand nichts mehr als ›ein Lächeln oder ein Seufzen‹ (Gibbon) hervorbringt und nur mehr im Verborgenen philosophieren will und nach außen hin nur Abgeschmacktes vertritt, wenn Sinn, Gefühl und eine eingebildete Frömmigkeit zu Handlangern des Aberglaubens geworden sind und sich in einen Zustand hineingeträumt haben, in dem man nicht mehr zwischen Wahrheit und Lüge unterscheidet — gerade dann kam jene sklavische Form des Glaubens, die man Calvinismus nennt, und errichtete eine unbeugsame Front gegen Sin- nestäuschung und Verlogenheit. Lieber ließ sich dieser Glaube zerreiben wie ein Feuerstein, als dass er sich der Gewalt beugte oder den zermürbenden Versuchungen nachgab.«396396 Froude, Calvinism, S. 7.
Zur Illustration erwähnt Froude Willhelm den Schweiger, Luther, Calvin, Knox, Coligny, Cromwell, Milton und Bunyan. Über sie urteilt er:
»Diese Männer besaßen alle Eigenschaften, die die menschliche Natur auszeichnen können. Es waren Männer aufrechter Lebensart und ehrlichen Verstandes, deren öffentliches Ansehen nicht von Selbstsucht befleckt war; ihre Gerechtigkeit, obgleich von weiblicher Milde, hielt allen Anforderungen stand. Sie waren freimütig, wahrhaftig, entgegenkommend, humorvoll und jeglichem Fanatismus abhold. Sie waren ganz einfach in der Lage, jene Seite anzuschlagen, die die Herzen aller Mutigen und Treuen Europas zum Schwingen brachte.«397397 Ebd., S. 8.
Wenden wir unsere Aufmerksamkeit nun dem Calvinismus als missionarischer Kraft zu. Es darf als allgemeiner Prüfstein für Glaubenslehren gelten, inwiefern ihre evangelistischen Bemühungen im Vergleich mit anderen Systemen zum Erfolg geführt haben. Es ist die Hauptaufgabe einer Kirche, Sünder dieser Welt zur Rettung zu führen und sie zu praktischer Gottesfurcht zu bekehren. Ein System, das diesen Ansprüchen nicht genügen kann, hat hier keinen Platz, ganz egal, wie bemerkenswert es sonst sein mag.
Die erste Erweckung, die dreitausend Menschen zur Umkehr führte, ereignete sich während einer Predigt des Petrus zu Jerusalem, der an die Menschen Worte wie diese richtete: »Diesen, der nach Gottes festgesetztem Ratschluss und Vorsehung dahingegeben worden war, habt ihr genommen und durch die Hände der Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und getötet« (Apg 2,23). Als sich die Jünger etwas später zum Gebet versammelten, beteten sie: »Ja, wahrhaftig, gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, haben sich Herodes und Pontius Pilatus versammelt zusammen mit den Heiden und dem Volk Israel, um zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss vorher bestimmt hatte, dass es geschehen sollte« (Apg 4,27f.). Das ist Calvinismus reinsten Wassers. Die nächste große Erweckung der Kirche, die im vierten Jahrhundert von Augustinus ausging, basierte auf den gleichen Lehren, wie jeder leicht nachprüfen kann, der sich mit der Literatur dieser Zeit beschäftigt. Die Reformation, die allgemein als größte Erweckung des wahren Glaubens seit neutestamentlicher Zeit gilt, nährte sich von der gründlich prädestinatianischen Predigtweise Luthers, Zwinglis und Calvins. Es ist Calvins und Admiral Colignys Verdienst, die erste protestantische Auslandsmission inspiriert zu haben — die Expedition nach Brasilien im Jahr 1555.
Es stimmt: Das Unternehmen erwies sich als erfolglos; auch verhinderten die Religionskriege Europas ein neuerliches Unternehmen in absehbarer Zeit.
McFetridge hat uns einige interessante und vergleichsweise unbekannte Fakten über das Entstehen der Methodistenkirche hinterlassen. Er berichtet:
»Wenn wir über die Methodistische Kirche sprechen, dann sprechen wir von einer Erweckung. Nicht Wesley jedoch, sondern Whitefield, ein kompromissloser Calvinist, war ihr erster Leiter. Er war jünger als Wesley, doch er war es, der zuerst auf die Felder hinausging und große Volksmengen um sich versammelte. Er sammelte Gelder und baute Kapellen. Whitefield war es auch, der Wesley um Hilfe bat. Er hatte viel Überzeugungsarbeit zu leisten, bevor er die bestehenden Vorurteile gegen diese Bewegung überwinden konnte. Whitefield begann sein großes Werk in Bristol und in Kingswood; seine Anhängerschaft zählte nach Tausenden. Man war schon damit beschäftigt, Gemeinden zu organisieren, als Wesley zu Hilfe gerufen wurde. Wesley war ein Mann großen Eifers, in vieler Hinsicht ein großartiger Geistlicher. Er glaubte an die Kindertaufe und verlangte, dass die ›Dissenters‹398398 Zu den „Dissenters“ zählten Andersdenkende, die sich ihrer abweichenden Meinung wegen von der Amtskirche getrennt hatten. Dazu zählten u. a. John Bunyan, John Knox, Daniel Defoe, Matthew Henry und Joseph Priestly (A. d. Ü.). sich erneut taufen ließen, bevor er ihnen den Eintritt in seine Gemeinde gewährte. Er konnte sich nicht vorstellen, wo anders als in einer Kirche zu predigen. Wie er es einmal ausgedrückt hatte, hielt er die Errettung der Seelen beinahe für eine Sünde, wenn sie nicht im Innern einer Kirche geschah. Als Whitefield Wesley einlud, in aller Öffentlichkeit zu predigen, schreckte Wesley zunächst davor zurück. Später änderte er seinen Sinn, doch erst, nachdem er sich aufgrund eines Ereignisses dazu entschieden hatte, das viele als abergläubisch bezeichnen würden. Er und sein Bruder Charles öffneten ihre Bibel an einer zufälligen Stelle, um so zu einer Entscheidung zu gelangen. Doch die Texte wollten dazu keine Stellung nehmen. Daraufhin nahmen sie zu anderen Methoden Zuflucht: sie warfen Lose. Sie fielen zugunsten Whitefields. Dieser Art war der Anfang jenes Werkes, das so großen Bekanntheitsgrad erlangte und seitdem ehrenvoll mit dem Namen Wesley verbunden ist. … Die Methodistenbewegung verdankt Whitefield so viel, dass er auch ›der calvinistische Gründer des Methodismus‹399399 Der Methodismus stellt heutzutage vielfach eine Heiligungsbewegung dar, die sich als Arminianismus in klarer Abgenzung zum
Calvinismus versteht (A. d. Ü.). genannt wurde. Bis zum Ende seines Lebens galt daher auch Whitefield als der Repräsentant der Bewegung, zumindest unter den Gebildeten. In seinen ›Letters‹ spricht Walpole nur einmal von Wesley, wenn er von der Gründung des Methodismus handelt, von Whitefield dagegen unzählige Male. In seiner Lehrveranstaltung über den Methodismus nennt Mant diesen eine vollkommen calvinistische Angelegenheit. Weder die Prinzipien, noch die ursprüngliche Kraft dieser Bewegung sei auf Wesley zurückzuführen. Die öffentliche Predigt, die der Bewegung ihren unverkennbaren Stempel aufdrückte und sie mit der notwendigen Kraft ausstattete, die im Kampf gegen ihre Feinde so siegreich sein sollte, war Whitefields Einfall, während Wesley noch gehörigen Widerwillen gegen diese Methode zeigte. Der damaligen Höflichkeit gemäß waren ›Calvinismus‹ und ›Methodismus‹ noch austauschbare Begriffe; die Methodisten wurden einfach für eine weitere Sekte der Presbyterianer gehalten. … Es war der Calvinismus, nicht der Arminianismus, der die großartige Glaubensbewegung in Gang gesetzt hatte, aus der später die Methodistische Kirche erwuchs, soweit man überhaupt sagen kann, dass die Gründung auf ein Glaubenssystem zurückzuführen ist. Während Wesleys Werk innerhalb der neuen Bewegung geehrt und hochgehalten werden muss, sollte nicht vergessen werden, dass es der große Calvinist George Whitefield war, der der Kirche zu ihrer Entstehung und ihrem unverwechselbaren Charakter verhalf. Hätte er länger gelebt und wäre er nicht davor zurückgeschreckt, als Gründer einer Kirche gelten zu sollen, wie vieles hätte sich anders entwickelt! Whitefield versammelte ganze Gemeinden, um es anderen zu überlassen, sie in Kirchstrukturen zu organisieren; er baute Versammlungsräume, die andere nutzten, um darin zu predigen.«400400 Calvinism in History, S. 151-153.
Wenn wir die Fremdenmission betrachten, wird sehr schnell klar, dass es dieses Glaubenssystem war, welches den größten Einfluss in der Verbreitung des Evangeliums in heidnische Nationen ausübte. Paulus, der von liberaleren Gegnern des Calvinismus als derjenige gehalten wird, der für die spezifisch calvinistische Theologie verantwortlich zeichnet, war überhaupt der größte und einflussreichste Missionar. Wenn wir uns die Liste der heldenhaften protestantischen Missionare vor Augen führen, sehen wir, dass sie fast ausschließlich Jünger Calvins aufzählt. Wir finden darauf Carey und Martyn in Indien, Livingstone und Moffat in Afrika, Morrison in China, Paton in der Südsee und viele andere mehr. Diese Männer bekannten keinen statischen, sondern einen dynamischen Calvinismus; der Calvinismus war nicht nur ihre Lehre, sondern auch ihr Leben.
In Bezug auf die Fremdenmission sagt Dr. F. W. Loetscher einmal:
»Obwohl wir wie alle unsere Schwesterkirchen Grund genug haben, im Hinblick auf unsere noch nie da gewesenen Möglichkeiten und im Hinblick auf die schreckliche Heillosigkeit heidnischer Länder zu bedauern, dass wir nicht viel mehr vollbracht haben, dürfen wir zumindest Gott dafür danken, dass unsere geehrten Vorväter einen solch großartigen Anfang in der Weltmission gesetzt haben; die calvinistischen Kirchen übertreffen in dieser Hinsicht alle anderen christlichen Glaubensgemeinschaften. Insbesondere unsere Denomination hat die Ehre und das Vorrecht, sich in seiner weitreichenden Verantwortlichkeit von allen anderen nichtchristlichen Religionen absetzen zu können; sie hat das Evangelium auf mehreren Kontinenten, unter mehr Nationen, Völkern und Sprachen gepredigt als jede andere evangelische Vereinigung der Welt.«401401 Ansprache vor der Generalversammlung der Presbyterianischen Kirche in den USA, 1929.
Das mag einigen nach unangemessener Übertreibung schmecken; ich dagegen zögere nicht, zu behaupten: Über die Jahrhunderte war es der Calvinismus in seiner Furchtlosigkeit und in seinem Festhalten der gesunden Lehre, welcher die wahre Stärke der Gemeinde Christi gewesen ist. Die traditionell hohen Normen der calvinistischen Kirchen, was die Ausbildung und Kultivierung ihrer Diener anlangt, hat dazu geführt, eine große Ernte zu Füßen Jesu zu versammeln, und zwar nicht in vorübergehender Begeisterung, sondern als Früchte des ewigen Bundes. An seinen Früchten gemessen hat sich der Calvinismus als größte evangelistische Kraft der Weltmission herausgestellt.
Die Feinde des Calvinismus können das Zeugnis der Geschichte nicht anfechten. Dieses Glaubenssystem hat der modernen Geschichte ein rühmliches Kapitel hinzugefügt. Etwas Edleres hat die Geschichte nicht aufzuweisen. Henry Ward Beecher402402 Ein amerikanischer Prediger und Bruder Harriet Beecher-Stowe’s, der Autorin von Onkel Toms Hütte (A. d. Ü.). schreibt:
»Den Liberalen ist es seit jeher wie ein Mysterium vorgekommen, wie gerade die Calvinisten, denen ja Starrheit und Unnachgiebigkeit der Lehre nachgesagt wird, die größten Verfechter der Freiheit gewesen seien. Das Freiheitsstreben derer, die die calvinistischen Prinzipien angenommen hatten, musste ihnen rätselhaft erscheinen. Die Wahrheit liegt aber darin, dass der Calvinismus getan hat, was keine Denomination vor ihm geschafft hat: Er stellte der Menschheit das höchste Ideal der Menschlichkeit vor Augen und bekämpft den Weg zur Verdammnis mit den stärksten Waffen, die man sich denken kann. … Beispiellos betont er die Individualität des Menschen und zeigt überzeugend und in klarstem Licht, in welcher Verantwortung der Mensch gegenüber Gott und in welcher Beziehung er zur Ewigkeit steht. Er zeigt den Menschen als ein Geschöpf, das mit dem Eintritt ins Leben eine gewaltige Verantwortung übernimmt und der auf dem Wege zu seinem Grabe nur einen einzigen Trost erlangen kann: den Himmel zu erlangen und der Hölle zu entfliehen. … Der Calvinismus sieht den Menschen von den stärksten Mächten belastet und bedrängt. Der Mensch ist auf dem Wege in die Ewigkeit, bald wird er entweder im Himmel gekrönt oder muss in der Gluthölle der ewigen Verdammnis verschmachten — dies ist seine Ewigkeit. Wer darf da den Menschen binden? Finger weg vom Menschen! Lass ihn gehen, oder du hinderst ihn unter Lebensgefahr deiner eigene Seele! Lass ihn seine Suche nach Gott in Freiheit durchführen. Misch dich nicht in sein Leben oder in seine Rechte ein. Lass ihn seine Erlösung bewirken, wie er es zu tun findet. Keine Hand darf sich erdrückend auf ein Geschöpf dieser Menschheit legen, einer Menschheit, deren Ziel entweder ewige Herrlichkeit oder ewige Verdammnis ist.«403403 Plymouth Pulpit, Article, Calvinism.
Um einen anderen eloquenten Artikel anzuführen:
»Dieser Baum mag dem voreingenommenen Auge knorrig und rau erscheinen, ein Baum, dessen Äste sich gnadenlos in seltsamste Gebilde verdrehen. Aber man bedenke: Dieser Baum ist keine Weidenrute, die erst kürzlich aus der Erde geschossen ist. Die Äste dieses Baumes haben den Stürmen eines ganzen Jahrtausends getrotzt; sein Stamm trägt die Spuren von Blitz und Donner und seine Rinde die Narben von Streitaxt und Geschoß. Ja, dieser alten Eiche fehlt die seidenweiche Anmut und Biegsamkeit eines Treibhausgewächses, doch ihre Majestät steht über dieser Anmut, ihre Größe jenseits bloßer Schönheit. Ihre Wurzeln mögen seltsam verdreht erscheinen, doch einige haben das Blut glorreicher Schlachtfelder getrunken; manche davon ranken sich um die Scheiterhaufen ihrer Märtyrer, einige winden sich, zeigen die Einsamkeit der Bibliotheken, in denen tiefe Denker gegrübelt und gebetet haben wie Johannes auf Patmos; seine große Hauptwurzel dagegen windet sich in lebendiger und liebevoller Umarmung um das Kreuz von Golgatha. Seine Äste mögen knorrig sein, doch sie sind bekleidet mit dem Stärksten und Reichsten, was die Geschichte der Zivilisation und der Christenheit zu bieten hat.«404404 Power and Claims of a Calvinistic Literature, S. 35, Zitiert aus Smith, The Creed of Presbyterians, S. 105.
Dies ist keine leere Lobrede auf den Calvinismus. Jeder unparteiische und gebildete Beobachter der Geschichte wird die oben geschilderten Tatsachen zugeben müssen. Der Autor dieses Buches fügt die Worte Dr. E. W. Smiths hinzu, der am Ende des Kapitels über die Früchte dieses Bekenntnisses in seinem Buch „The Creed of Presbyterians“ gesagt hat, jene Tatsachen und Beobachtungen seien
»nicht dazu da, die Eitelkeit der Konfessionen zu befördern, sondern unsere Herzen mit Dankbarkeit gegenüber Gott zu erfüllen für all das, was geschehen ist und was uns jetzt vor Augen steht; ein Umstand, der Grund genug für edle Gesinnung gibt und vor allem unsere Herzen in Brand setzen soll für jenes großartige Bekenntnis, das mit Gottes Hilfe den Grundstein Amerikas und der modernen Welt gelegt hat.«
Abschließend darf ich sagen, dass der Leser mit einer sehr ›altmodischen‹ Theologie in Berührung gekommen ist, einer Theologie, die so alt ist wie die Bibel selber, ja älter selbst als die Welt, da doch der Plan zur Erlösung seit jeher im ewigen Ratschluss Gottes verborgen ist. Ich habe keinen Hehl daraus gemacht, dass die Lehren, die hier verfochten und verteidigen werden, erschreckend sind — und doch sind sie auch wunderbar. Ihre Kraft reicht aus, den schlafenden Sünder zu wecken, der sein ganzes Leben lang wähnt, er könne die Sache mit Gott so lange vor sich herschieben, wie er nur will. Ihre Kraft reicht auch aus, den schlafenden »Heiligen« zu erschrecken, der sich der Täuschung seiner eigenen, fleischlichen Religion mit tödlicher Gelassenheit hingegeben hat. Warum auch sollten sie kein Erstaunen erregen? Wimmelt die Natur nicht von Wundern? Warum denn nicht auch die Offenbarung? Es bedarf nur geringer Bildung, um zu sehen, welch erstaunliche Fakten die Wissenschaft über die Natur zu berichten hat, die der Ungebildete nur schwer begreift oder sie gar für unmöglich hält. Warum sollte es sich bei der Wahrheit der Offenbarung und beim geistlich Ungebildeten anders verhalten? Wenn das Evangelium einen Menschen nicht aufschreckt, verblüfft und entsetzt, dann ist es nicht das wahre Evangelium. Wer ist je von den Lehren des Arminianismus in Erstaunen versetzt worden, dessen Lehren behaupten, dass der Mensch selbst über sein Schicksal entscheidet? Es wird nicht ausreichen, diese Lehren einfach zu ignorieren oder sie zu verspotten, wie viele es tun. Die Frage ist: Sind diese Lehren wahr? Wenn ja, weshalb dann der Spott? Wenn sie aber falsch sind, dann soll man das beweisen. Wir schließen mit dem Satz, dass jenes große Glaubenssystem, das Calvins Namen trägt, nichts weniger ist als die Hoffnung der ganzen Welt.
« Prev | 11) Schluss | Next » |