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2) Das Angebot ist durchaus aufrichtig

Gott befahl Mose, die Ältesten aus Israel zu versammeln, zum Pharao zu gehen und von ihm zu verlangen, dass er das Volk eine Dreitagesreise in die Wüste ziehen lasse, um dort ein großes Fest zu feiern und zu opfern. Doch schon der nächste Vers sagt: »Ich weiß aber, dass der König von Ägypten euch nicht ziehen lässt, wenn er nicht mit Gewalt dazu gezwungen wird« (2 Mo 3,19). Wenn es stimmig ist, dass Gott von allen Menschen verlangt, Ihn zu lieben oder auch vollkommen zu sein (Lk 10,27; Mt 5,48), dann ist auch sein Befehl stimmig, umzukehren und an das Evangelium zu glauben. Eine Einladung kann auch dann ernst gemeint sein, wenn man vorher weiß, dass sie ausgeschlagen wird. Ein Vater, der seine Söhne falsche Wege gehen sieht, fühlt sich gezwungen, sie zurechtzuweisen. Seine Warnungen und Appelle sind sehr ernst gemeint; das Problem liegt bei den Söhnen.

Will denn jemand behaupten, Gott könne sein Erlösungsangebot an freie Menschen nicht ernst meinen, wenn er damit nicht gleichzeitig den Menschen dazu bringt, das Evangelium auch zu akzeptieren? Es ereignet sich oft nach einem Bürgerkrieg, dass der siegreiche General den Soldaten der feindlichen Arme Amnesie gewährt, vorausgesetzt, die Soldaten strecken die Waffen, gehen nach Hause und leben ein friedsames Leben. Er tut dies ungeachtet der Tatsache, dass er weiß, dass dies viele Soldaten aus Stolz ablehnen werden. Dennoch macht er dieses Angebot guten Glaubens und zwingt niemanden zur Zustimmung, wenn er auch über die Macht dazu verfügte. Stellen wir uns ein Schiff mit vielen Passagieren vor, das etwas abseits der Küste zu sinken beginnt. Ein Mann schnappt sich ein Boot, um seine Familie zu retten. Zufällig ist das Boot groß genug, um alle Passagiere aufnehmen zu können, und so lädt er alle Sinkenden ein, an Bord zu kommen, obgleich er weiß, dass einige ablehnen werden, weil sie die Gefahr nicht erkennen oder weil etwa die Besatzung auf ihn spuckt oder auch weil Menschen aus anderen Gründen nicht umsteigen wollen. Wäre ein solches Angebot etwa unseriös?

»Gesetzt den Fall, die Familie eines Mannes gerät in Gefangenschaft. Da tut sich eine Möglichkeit auf: ein Lösegeld, das nicht nur ausreicht, die Familie dieses Mannes loszukaufen, sondern für alle Gefangenen reichte. Obgleich das Lösegeld zunächst vielleicht nur für die Familie des Mannes beabsichtigt gewesen sein mag, würde es doch für alle ausreichen. Oder stellen wir uns jemanden vor, der ein Fest für seine Freunde vorbereitet, dabei allerdings so viel aufgetragen hat, dass er seine Türen öffnet und jedermann einlädt, der kommen will. Genau das hat Gott dem Calvinismus nach tatsächlich getan. Aus Liebe zu seinem Volk und zum Plan, seine Erlösung sicherzustellen, hat er seinen Sohn gesandt, um all jene zu erlösen, die das auch wollen.«216216     Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 2., S. 556.

Immer wenn das Evangelium auf Menschen trifft, dann ist es der Unwille einiger, der sie daran hindert, es zu anzunehmen. Es wird ihnen nichts in den Weg gestellt, das sie daran hindern könnte. Alles, was der Ruf des Evangeliums umfasst, ist wahr; das Evangelium ist dem menschlichen Verständnis angepasst. Jeder, der will, kann umkehren und glauben. Kein äußerlicher Zwang hindert sie daran, das Evangelium anzunehmen. Die Erwählten nehmen es an, die Nicht-Erwählten dürfen es ebenfalls annehmen, wenn sie wollen, denn nichts als sie selbst bestimmt sie dazu, es abzulehnen.

»Dem calvinistischen Schema zufolge haben die Nicht-Erwählten alle Vorteile und Möglichkeiten, die Erlösung zu erlangen, welche auch anderen Glaubenssystemen zufolge allen Menschen unterschiedslos angeboten werden. Der Calvinismus besagt, dass der Plan zur Errettung für alle Menschen passt und auch alle erretten könnte — er wird auch allen gleichermaßen angeboten, obgleich er nach Gottes geheimem Ratschluss nur genau jene Auswirkungen zeitigt, die die Erfahrung eben zeigt. Letztlich wird nur Sein Volk positiv auf dieses Angebot reagieren, obgleich Nutzen und Vorteil dieses Angebots allen offenstehen, die gewillt sind, es anzunehmen. Mehr als das kann kein Gegner des Calvinismus verlangen.«217217     Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 2., p. 644.

Der Arminianismus wendet ein, dass Gott seine frohe Botschaft doch denen nicht anbieten könne, die er seinem geheimen Ratschluss zufolge gar nicht auf der Liste seiner Erwählten hat, doch die Heilige Schrift zeigt, dass er genau das tut. Wir haben schon gezeigt, wie er mit dem Pharao verfahren ist. Jesaja sollte den Juden predigen, und wir finden auch in Jesaja 1,18f. ein sehr ausgeweitetes Angebot gnädiger Vergebung und Reinigung.218218     Jes 1, 18f.: Wohlan, lasst uns rechten!, spricht der Herr. Wenn eure Sünden auch rot sind wie Scharlach, weiß sollen sie werden wie Schnee. Wenn sie auch rot sind wie Purpur, weiß sollen sie werden wie Wolle! Seid ihr willig und hört, sollt ihr die Güter des Landes verzehren. Aber in Kap. 6,9—13, gerade nach der herrlichen Vision der Berufung Jesajas muss dieser vernehmen, dass seine Predigt dazu bestimmt ist, seine Landsleute zu verhärten, und zwar bis zu ihrer generellen Zerstörung!

Hesekiel war zum Haus Israel gesandt worden, um zu ihm zu sprechen, doch es wurde ihm gesagt, dass man nicht auf ihn hören werde (Ez 3,4—11).

Mt 23,33—37 hat die gleiche Aussage. An dieser Stelle erklärt Gott, dass er genau das tut, was er dem Arminianismus zufolge nicht tun dürfte. Aufgrund dieser Betrachtungen kann der Einwand des Arminianismus nicht auf eine fehlerhafte Darstellung des Calvinismus zurückgeführt werden, sondern auf fehlerhafte Annahmen des Arminianismus selbst.

Der Beschluss der Erwählung ist geheim. Der Verkünder des Evangeliums hat keine Kenntnis davon bekommen, wer unter seinen Hörern zu den Erwählten gehört und wer nicht, und deshalb ist es ihm auch nicht möglich, seine Botschaft nur den Erwählten zu bringen. Es ist seine Pflicht, voller Hoffnung auf alle zu blicken, denen er predigt und auch für alle zu bitten, dass sie zu den Erwählten zählen mögen. Er muss die Predigt allen bringen, um die Erwählten zu erreichen, und die Schrift sagt auch ganz klar, dass das Evangelium allen Menschen angeboten werden soll. Auch die Erwählten müssen die Botschaft zuerst einmal hören, bevor sie sie glauben und annehmen können (Röm 10,13—17). Der aufmerksame Leser wird bemerken, dass die Einladung genau genommen gar nicht einfach jedem gilt, sondern an die »Müden« adressiert ist, an die »Durstigen«, die »Hungrigen«, die »Willigen«, an jene, die »mühselig und beladen sind«, nicht aber an jene, die ihrer Ansicht nach nichts brauchen und nicht gewillt sind, sich erneuern zu lassen. Die Botschaft geht an alle, doch es ist Gott, wer aus seiner Zuhörerschaft die Seinen sich erwählt und ihnen durch seinen Geist diese seine Wahl auch mitteilt. Was den Erwählten Versicherung ihrer Erlösung bedeutet, ist den Nicht-Erwählten Torheit, oder, wenn das Gewissen erleuchtet wird, ein Richterspruch zur Verdammnis. Generell kann man sagen, dass die Nichterwählten um ihr ewiges Heil nicht besorgt sind; sie neiden den Erwählten ihre Hoffnung auf Errettung nicht, sondern lachen und spotten darüber. Da dem Verkünder die Wahl Gottes zunächst unbekannt ist, muss er auch im Ungewissen darüber bleiben, wer seine Botschaft zum Heil, wer sie zum Gericht empfängt. Soviel Schwachheit findet sich unter den Erwählten und soviel Fähigkeit des Bösen, sich als Engel des Lichts zu geben und den Anschein guter Taten und Worte zu geben, dass es dem Verkünder nicht möglich ist, zu wissen, was letztlich dabei herauskommen wird. Die Wirkung der Predigt steht nicht in der Hand des Verkünders, sondern in der Hand Gottes, und wie oft hat nicht schon eine Predigt, die aussichtslos geschienen, durch die Kraft des Heiligen Geistes ihr Ziel wohl erreicht. Doch nur weil es sicher ist, dass die Nichterwählten sich nicht zu Gott kehren werden, um ihre Sünden zu bereuen und ein moralisches Leben zu führen, ist es dennoch die Pflicht der Verkünders, das Evangelium allen zu bringen. Obgleich sie Mitglieder einer gefallenen Menschheit sind, sind sie nichtsdestoweniger freie Menschen, die für ihren Charakter und für ihr Verhalten verantwortlich sind. Gottes Befehl zur Umkehr trifft sie daher völlig zurecht. Anders zu handeln, gälte ihm als Preisgabe seines Gesetzes. Ständig wird gesagt, der Mensch habe keinerlei Verpflichtung, etwas zu tun, zu dem er gar nicht fähig ist. Diese Ansicht ist total daneben, denn der Mensch handelt aus selbstverschuldeter Unfähigkeit. Er wurde aufrecht geschaffen, ist aber aus freiem Willen in Sünde gefallen.

Seine Verantwortlichkeit gleicht der eines Wehrdienstverweigerers, der sich zu diesem Zweck ein Auge oder eine Hand verstümmelt. Wenn Unfähigkeit die Verpflichtung aufhebt, dann ist Satan vollkommen von jeder Verpflichtung, recht zu tun, freigesprochen; seine teuflische Feindschaft wäre ganz und gar nicht mehr Sünde. Die Sünder stünden damit noch über dem Moralgesetz!

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Predigt die Nichterwählten nicht umsonst und nutzlos erreicht, denn auch so werden sie Zielscheibe genereller Hemmnisse und lenkender Einflüsse, die sie von Sünden abhalten, die sie sonst begingen.


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