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1) Ziel und Mittel sind vorherbestimmt
Es wird manchmal der Einwand erhoben, dass dieses Gedankengebäude die Menschen zu Sorglosigkeit und Indifferenz bezüglich ihres moralischen Verhaltens und ihres Wachstums in der Gnade verleite, da ja ihre ewige Erlösung quasi schon feststehe. Dieser Einwand wird meist gegen die Lehre der Erwählung und gegen das Beharren der Heiligen eingewandt. Diesem Einwand (genauso wie jenem, dass unser System angeblich zu Faulheit führe) kann aber mit dem Hinweis begegnet werden, dass nicht nur das Ziel vorherbestimmt ist, sondern auch die Handlungen. Gottes Befehl, die Erde solle fruchtbar sein, meint den Sonnenschein genauso wie Regen und Ackerbau etc. Wenn Gott dem Menschen Ernte vorherbestimmt hat, dann auch die Saat und die Pflege des Saatgutes. Das Ziel, etwas zu bauen, schließt die Herstellung der Baumaterialien mit ein, genauso wie eine Kriegserklärung die Waffen, Munitionen, Schiffe und all die sonst nötige Ausstattung miteinschließt. Zur Auswahl der Erwählten gehört nicht nur ihr ewiges Ziel, sondern auch die Erwählung zur Heiligkeit im Hier und Jetzt. Es wird nicht einfach der Mensch als solcher, sondern der Mensch als heiliger und tugendhafter Mensch zum ewigen Leben vorherbestimmt.
Paulus sagt in deutlichster Sprache vom Ziel der Erwählung: »In ihm hat er uns schon vor Erschaffung der Welt auserwählt, dass wir heilig und untadelig vor ihm seien« (Eph 1,4). »Denn die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu werden«, heißt es in Römer 8,29. In 2 . Thess. 2,13 heißt es, »dass Gott euch am Anfang zum Heil erwählt hat in der Heiligung des Geistes und durch den Glauben an die Wahrheit.« »Soviele ihrer zum ewigen Leben bestimmt waren«, heißt es in Apg 13,48. Die Vorherbstimmten sind die Berufenen, sind die Gerechtfertigten und sind die Verherrlichten (Röm 8,29f.), und daher steht der freie Ratschluss Gottes gegenüber den Erwählten auch fest (Röm 9,11).
Dieser Glaubenssatz des Calvinismus ist im Westminster-Bekenntnis sehr gut ausgedrückt:
»Wie Gott die Erwählten zur Herrlichkeit berufen hat, so hat er nach dem ewigen und völlig freien Entschluss seines Willens alle Mittel dazu im voraus bestimmt. Deswegen sind die Erwählten, die in Adam gefallen sind, erlöst durch Christus; wirksam berufen zum Glauben an Christus durch seinen Geist, der zu seiner Zeit wirkt; sind gerecht- fertigt, zur Kindschaft angenommen, geheiligt und bewahrt aus seiner Kraft durch den Glauben zum ewigen Heil. So sind auch keine anderen durch Christus erlöst, wirksam berufen, gerechtfertigt, angenommen, geheiligt und bewahrt als allein die Erwählten.208208 WB, Art. 3.6
»Gott hat Hiskia fünfzehn Jahre des Lebens dazugeschenkt. Dies hat Hiskia aber nicht dazu verleitet, mit seiner Gesundheit sorglos umzugehen oder sein Essen zu verweigern. Er hat nicht gesagt: Obgleich ich durch das Feuer gehe oder mich ins Wasser stürze, egal ob ich auch Gift trinke — ich werde jedenfalls genauso lange leben. Die Vorherbestimmung schließt das verursachende Handeln des Menschen immer mit ein.«209209 Ness, Antidote Against Arminianism, S. 41.
Da alle Ereignisse mehr oder weniger zusammenhängen und da Gottes Handeln immer ein vermitteltes Handeln ist, wäre die Gewissheit der Ereignisse ohne ein vorherbestimmtes Vermitteltsein dieser Ereignisse selbst freilich unhaltbar. Die Vorherbestimmung umfasst nicht nur das Werk Christi und das Wirken des Heiligen Geistes, sondern auch den Glauben, die Umkehr und das Beharren seines Volkes.
Als Paulus die gleiche Lehre zu einer anderen Gelegenheit gebracht hat, musste er dem gleichen Einwand begegnen, nämlich, dass er das Gesetz durch diesen Glauben zugrunde richte, oder in anderen Worten: Da wir ja aus Glauben gerecht gesprochen sind, müssen wir uns nicht mehr an das Moralgesetz halten. Darauf antwortet er aber energisch: »Keineswegs! Vielmehr richten wir das Gesetz auf«. Zwischen der ewigen Erlösung als Ziel und dem Glauben und der Heiligkeit als Mittel besteht unauflösliche Verbindung.
Der »ideale« Christ würde freilich keine Sünde begehen. Obgleich er gerettet ist, ist er doch gerettet, um gute Werke zu tun; er steht unter der Verpflichtung, niemandem Anstoß zu geben, damit sein Dienst nicht verspottet wird (2 Kor 6,3). Die Schrift kennt kein Beharren im Glauben, das nicht gleichzeitig auch ein Beharren in Heiligkeit wäre; sie gibt auch keinen Anlass, seine ewige Sicherheit ohne stetiges Streben nach Heiligkeit und Heiligung zu erwarten!
Tugend und Heiligkeit sind Auswirkungen, nicht Ursachen der Erwählung, denn für die Erwählung kann es keine anderen Gründe geben als Gottes Wohlgefallen allein. Es stimmt zwar: Einige Menschen erreichen in diesem Leben ein Mehr an Heiligung, ein Mehr an stetigem Ausharren als andere, und niemand, der nicht im Hier und Jetzt an dieser Heiligkeit und Heiligung teilnimmt, soll wähnen, er werde die ewige Glückseligkeit im Jenseits sehen. Alle, die Gott für die ewige Glückseligkeit bestimmt hat, die hat er auch dazu bestimmt, in diesem Leben schon einen Vorgeschmack dieser Glückseligkeit zu bekommen, und gleichwie die Heiligkeit Grundvoraussetzung ist für ewige Seligkeit, so nimmt diese Heiligkeit in ihnen schon in diesem Leben ihren Anfang, denn ohne Heiligung wird niemand den Herrn sehen.
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