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1) Das Problem der menschlichen Freiheit

Das Problem, dem wir uns nun widmen, lässt sich so darstellen: Wie kann ein Mensch gleichzeitig in seinen Handlungen frei sein und dennoch dafür verantwortlich sein, wenn alles, was er tut, von Ewigkeit her vorbestimmt ist? Wenn ich sage »frei« und »verantwortlich«, dann meine ich damit eine intelligente Person, die aus vernünftiger Selbstbestimmung handelt. Unter Vorherbestimmung verstehe ich, dass Gott von Ewigkeit her den Lauf der Geschehnisse festgelegt hat; dies betrifft nicht nur jedes einzelne Leben, sondern genauso jeden Akt in der Natur. Gleich zu Beginn muss eingeräumt werden, dass ich damit nicht meine, menschliche Handlungen unterlägen irgendeinem Zwang. Der Mensch handelt ganz in Übereinstimmung mit seinen Neigungen und seinem Willen, sonst könnte er dafür ja nicht verantwortlich gemacht werden. Wenn die Handlung an sich ein zufälliger und ungewisser Akt wäre, dann wäre damit klar, dass die Freiheit des Menschen mit der Prädestination unvereinbar wäre.

Der denkende Mensch, der davon überzeugt ist, dass die Existenz alles Seins und alles Seienden von einer gigantischen Macht gesteuert wird, muss sich freilich fragen: Inwiefern kann der endliche Wille des Menschen Teil der souveränen Herrschaft Gottes sein? Die einzige Lösung dieser überaus schwierigen Frage: Wie kann die Souveränität Gottes mit der menschlichen Freiheit koexistieren? kann nicht darin bestehen, eines dieser beiden Dinge zu leugnen, sondern diese beiden Sachverhalte so konvergieren zu lassen, dass keinem etwas von seinem Wert oder seinem Gewicht geraubt wird. Die Überlegenheit hat freilich die göttliche Souveränität in ihrer unendlichen Überlegenheit über das sündige Geschöpf Mensch. Der gleiche Gott, der alle Dinge vorherbestimmt hat, hat der menschlichen Freiheit einen Platz mitten unter all diesen Dingen eingeräumt; sie existiert wie alles andere auch. Der Mensch ist weder Marionette noch Maschine. Der göttliche Plan birgt in seiner Unendlichkeit Variation und Komplexität, die von Ewigkeit zu Ewigkeit sind; er um- fasst Abermillionen Individuen, deren Handlungen zueinander in Beziehung stehen. Gott hat vorherbestimmt, dass seine Geschöpfe die Handlungsfreiheit unter seiner souveränen Herrschaft behalten sollen. Er hat nicht versucht, uns das zu erklären, und unser begrenzter Verstand wäre auch gar nicht in der Lage, jene Komplexität zu erfassen. Die Schreiber der Bibel zögerten nicht, die absolute Herrschaft und den unumschränkten Einfluss Gottes auch über die Gedanken und Absichten der Menschen zu bekräftigen; es brachte sie in keinerlei Verlegenheit, die Handlungsfreiheit des Menschen mit dem allumfassenden Plan Gottes zusammenzudenken. Die Autoren des Westminster-Bekenntnisses anerkannten ganz klar die Handlungsfreiheit des Menschen, denn sofort, nachdem sie erklärt hatten:

»Gott hat von aller Ewigkeit her nach dem vollkommen weisen und heiligen Ratschluss seines eigenen Willens uneingeschränkt frei und unveränderlich alles angeordnet, was auch immer geschieht,«

haben sie sofort hinzugefügt:

»doch so, dass Gott dadurch weder Urheber der Sünde ist noch dem Willen der Geschöpfe Gewalt angetan, noch die Freiheit oder Möglichkeit der Zweitursachen aufgehoben, sondern vielmehr in Kraft gesetzt werden.«175175     WB, Art. 3.1.

Obwohl der Mensch der Urheber seiner Taten bleibt, sind diese doch in gewissem Maß vom Wirken und Handeln der göttlichen Macht und deren Gesetzmäßigkeiten abhängig. Man kann diesen Sachverhalt einem Mann vergleichen, der sich vornimmt, ein Haus zu bauen. Nachdem er einen Plan erstellt hat, bestellt er die Maurer, Maler, den Installateur usw., die die Arbeit ausführen. Diese Männer werden nicht dazu gedrängt, das Haus zu bauen. Es wird keinerlei Zwang auf sie ausgeübt. Der Eigentümer sorgt quasi nur für den geeigneten finanziellen Anreiz, die Arbeitsbedingungen und sonstige Umstände. Sind sie festgelegt, so wer- den die Handwerker frei und ungezwungen an ihr Handwerk gehen. Sie werden genau nach Plan vorgehen. Der Bauherr ist die »erste Ursache« des Hauses, die Handwerker stellen die »Zweitursachen« dar, indem sie dem Plan folgen und das Haus tatsächlich bauen. Wie oft beeinflussen wir nicht auch die Handlungen unserer Mitmenschen, ohne sie irgend in ihrer Freiheit oder ihrer Verantwortlichkeit zu beschränken? Ähnlich, nur in unendlich größerem Maß kann auch Gott unser Handeln dirigieren. Sein Wille zum Geschichtsverlauf ist die Erstursache, der menschliche Wille die Zweitursache: beide harmonieren perfekt.

In einem gewissen Sinn könnten wir sagen, das Reich Gottes sei demokratisch, so paradox das auch klingen mag. Das wesentliche Prinzip einer Demokratie besteht im »Konsens der Regierenden«. Selbstverständlich ist der Himmel ein Königreich, und Gott ist der unumschränkte Herrscher, und dennoch wird auf der Basis von Übereinkunft regiert: Der Himmel zwingt seine Kinder nicht zum Glauben, sondern beeinflusst sie derart, dass sie von selbst dahin wollen und das Evangelium willig akzeptieren. Die Gläubigen haben Freude daran, den Willen Gottes auszuführen.


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