Contents
« Prev | 5) Verwerfung | Next » |
5) Verwerfung
-
Aussagen
-
Kommentare von Calvin, Luther und Warfield
-
Schriftbelege
-
Die Basis der Lehre — die Erbsünde
-
Den Nichterwählten wird kein Unrecht getan
-
Der unerwählte Zustand der Heiden
-
Zweck der Lehre von der Verurteilung
-
Der Hauptangriff der Arminianer auf diese Lehre
-
Wir sind nicht verpflichtet, alles zu erklären
-
Aussagen
Die Lehre von der Prädestination führt es logischerweise mit sich, dass einige zum Tod vorherbestimmt sind. Die Begriffe »erwählt« und »Erwählung« implizieren die Begriffe »nicht erwählt« und »verurteilt«. Wenn einige auserwählt sind, sind es notwendig andere nicht. Die großen Privilegien und die herrliche Bestimmung der Einen gilt den anderen nicht. Auch dies ist allein auf Gott zurückzuführen. Wir glauben, dass Gott von Ewigkeit her vorhatte, einige Nachkommen Adams in ihren Sünden zu lassen und dass der Grund für eine solche die Auswahl einzig und allein in Gottes Willen gefunden werden kann. Wie Mozley gesagt hat, war die gesamte Menschheit nach dem Fall
»eine einzige Masse der Verdammnis; es hat Gott in seiner souveränen Gnade gefallen, einige zu retten und andere zu lassen, was sie sind; einige zur Herrlichkeit zu führen und ihnen die dafür notwendige Gnade zuzuwenden, die anderen jedoch der ewigen Strafe zu überlassen, indem er ihnen diese Gnade vorenthielt.«9191 James Bowling Mozley, The Augustinian Doctrine of Predestination.
Die Hauptschwierigkeit in der Lehre der Erwählung entsteht in bezug auf diejenigen, die verlorengehen; die Schrift hat uns keine genaue Auskunft über ihren Zustand gegeben. Da die Mission Jesu nicht war, die Welt zu richten, sondern sie zu retten, wird jenem Aspekt der Sache wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In allen reformierten Bekenntnissen, in denen von der Verurteilung gehandelt wird, wird davon gesprochen, dass sie ein wesentlicher Bestandteil der Prädestinationslehre sei. Das Westminster-Bekenntnis sagt im Anschluss an den Artikel um die Erwählung:
»Nach dem unerforschlichen Ratschluss seines eigenen Willens — aufgrund dessen er Barmherzigkeit walten lässt oder zurückhält, wie es ihm gefällt — hat Gott beschlossen, die übrige Menschheit zur Ehre seiner höchsten Macht über seine Geschöpfe zu übergehen und sie zum Lob seiner vollkommenen Gerechtigkeit wegen ihrer Sünde zu Schmach und Zorn zu bestimmen.«9292 WB, Art. 3.7.
Wer an die Erwählung glaubt, die Verurteilung (der Nichterwählten) aber leugnet, kann schwerlich auf die Logik seiner Aussage pochen. Ersterem zuzustimmen, während man letzteres leugnet, bedeutet letztlich, dass man das Dekret der Prädestination zu einem unlogischen oder ungleichgewichtigen System erklärt. Das Bekenntnis, das zwar die Prädestination aufrecht hält, die Verurteilung der Nichterwählten aber nicht Sache der Vorherbestimmung sein lässt, gleicht einem verwundeten Adler, der versucht, mit nur einem Flügel zu fliegen. Man hat im »gemäßigteren Calvinismus« die Neigung entwickelt, die Lehre der Verurteilung aufzugeben, und dieser ach so milde Ausdruck hat sich wie ein Keil in den echten Calvinismus geschoben, der Tür und Tor für allerlei gefährliche Angriffe geöffnet hat. »Gemäßigter Calvinismus« ist ein Synonym für angekränkelten Calvinismus; eine Krankheit aber, die nicht geheilt wird, ist der Beginn vom Ende.
-
Kommentare Calvins, Luthers und Warfields
Calvin selbst hat nicht gezögert, auch die Verurteilung der Verlorenen gleich der Erwählung der Geretteten auf den ewigen Plan Gottes zurückzuführen. Wir haben ihn bereits zu diesem Thema zitiert:
»Denn die Menschen werden nicht alle mit der gleichen Bestimmung erschaffen, sondern den einen wird das ewige Leben, den anderen die ewige Verdammnis vorher zugeordnet. Wie also nun der einzelne zu dem einen oder anderen Zweck geschaffen ist, so — sagen wir — ist er zum Leben oder zum Tode ›vorbestimmt‹.«9393 Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, Übersetzung: Otto Weber (nach der letzten Ausgabe von 1559); Neukirchen-Vluyn: foedus-verlag, 2008, 3.21.5.
An einer anderen Stelle sagt er:
»Denn die Erwählung selbst hätte ohne die ihr gegenüberstehende Verwerfung keinen Bestand.«9494 Ebd., 3.23.1. Es ist Siegfried Kettling recht zu geben, wenn er sagt: „Es ist unannehmbar, dass Gott Menschen erschaffen haben soll, deren Gemeinschaft er von Ewigkeit her niemals gewollt hätte.“ (Siegfried Kettling: »Typisch evangelisch«, Brunnen Verlag Gießen, 5. Aufl. 1994, S. 140) Der Gedanke Boettners kann an dieser Stelle verstanden werden, wenn man davon ausgeht, dass Gott diese Welt eben trotz des vorhergesehenen Sündenfalles geschaffen hat.« (Mt 18, 7; A. d. Ü.).
Calvin selbst gab zu, dass letzteres zu Problemen führe, die nicht leicht zu lösen sind, beharrte aber darauf, dass es die einzig denkbare Alternative sei, die Schrift-Tatsachen zu erklären.
Luther hat die ewige Verdammnis genauso klar auf den ewigen Plan Gottes zurückgeführt wie die ewige Errettung der Gerechten:
»Das beleidigt unsere natürliche Vernunft, dass Gott ganz vorurteilslos einige Menschen sich selbst überlassen, sie verhärten und verdammen sollte, und dennoch gibt Er vielfach Zeugnis davon, dass es sich gerade so verhält. Die einzige Ursache der Errettung einiger und der Verdammnis anderer liegt darin, dass er die einen erlösen will, die anderen jedoch der Verdammnis überlassen will, ganz wie Paulus sagt: ,Er erbarmt sich, wessen er sich erbarmen will und verhärtet, wen er verhärten will‘. … Es scheint der menschlichen Weisheit absurd, dass Gott einige Menschen verhärten, blenden und ihrem verderbten Sinn überlassen sollte, dass Er sie zuerst dem Bösen überlassen sollte, um sie nachher dafür zu verurteilen. Der gläubige, geistliche Mensch sieht in all dem keine Absurdität, denn er weiß, dass Gottes Güte nicht geschmälert würde, sollte er alle Menschen verdammen.«9595 Boettner zitiert aus einer englischen Lutherausgabe, gibt aber die genaue Quelle nicht an. In der Übersetzung von Henry Cole aus dem Jahre 1823 sind die Stellen nicht auffindbar; ebensowenig habe ich sie in der deutschen Ausgabe von Kurt Aland finden können (A. d. Ü.).
Er fügt hinzu, dass darunter nicht verstanden werden darf, dass Gott die Menschen gut, weise, gehorsam vorfindet, um sie dann böse, töricht zu machen und zu verstocken; die Menschen sind bereits so gefallen und verderbt, dass jene, die nicht wiedergeboren werden, statt durch Gottes Gesetz und Einfluss besser zu werden, dagegen aufbegehren und schlechter werden. In Bezug auf Röm 9,10f. redet Luther
»von der ewigen Vorherbestimmung Gottes, woher es ursprünglich fließt, wer glauben oder nicht glauben soll, wer von Sünden los oder nicht los werden kann, womit es ja ganz aus unsern Händen genommen und allein in Gottes Hand gegeben sei, dass wir fromm werden. Und das ist auch aufs allerhöchste not. Denn wir sind so schwach und ungewiss, dass, wenn es bei uns stünde, freilich nicht ein Mensch selig würde, der Teufel würde sie gewisslich alle überwältigen. Aber nun Gott gewiss ist, dass ihm das, was er vorherbestimmt, nicht fehlgehet, noch jemand ihm wehren kann, haben wir noch Hoffnung wider die Sünde.«9696 Martin Luther: Vorrede zum Brief des Paulus an die Römer Martin Luther: Gesammelte Werke (vgl. Luther-W Bd. 5, S. 59) (c) Vandenhoeck und Ruprecht] (Luther warnt auch Neubekehrte und Unbefestigte davor, sich allzu schnell mit dieser Lehre zu befassen. Diese Warnung kann nicht genug betont werden. Er schreibt: »Aber hier ist den frevelhaften und hochfahrenden Geistern eine Grenze zu stecken, die ihren Verstand zuerst hierher führen und damit anfangen, vorher den Abgrund göttlicher Vorherbestimmung zu erforschen und sich damit vergeblich bekümmern, ob sie vorherbestimmt sind. Die müssen sich denn selbst stürzen, dass sie entweder verzagen oder alles aufs Spiel setzen. Du aber folge diesem Brief seiner Ordnung entsprechend, beschäftige dich vorher mit Christus und dem Evangelium, dass du deine Sünde und seine Gnade erkennest, danach mit der Sünde streitest, wie hier das 1., 2., 3., 4., 5., 6., 7., 8. Kapitel gelehret haben. Danach, wenn du zum 8. (Kapitel) gekommen bist, unter das Kreuz und Leiden, wird dich das die Vorherbestimmung im 9., 10. und 11. Kapitel recht (verstehen) lehren, wie tröstlich sie sei. Denn ohne Leiden, Kreuz und Todesnöte kann man die Vorherbestimmung nicht ohne Schaden und heimlichen Zorn wider Gott behandeln. Darum muss (der alte) Adam vorher richtig tot sein, ehe er dies Ding leide und den starken Wein trinke. Darum sieh dich vor, dass du nicht Wein trinkest, wenn du noch ein Säugling bist. Eine jegliche Lehre hat ihr Maß, Zeit und Alter« (A. d. Ü.).
Dr. Warfield sagt:
»Die Schreiber der Bibel sind weit davon entfernt, die Lehre der Erwählung zu verdunkeln, um nur ja jede falsche Schlussfolgerung zu vermeiden. Im Gegenteil, sie gehen auf diese falschen Argumente ein und machten sie zu einem fixen Bestandteil ihrer Lehre. Ihre Lehre von der Erwählung, von der sie uns ganz ungezwungen berichten, involviert ganz selbstverständlich auch den Aspekt des Vergangenen. Der genaue Ausdruck im NT, den sie verwenden, lautet ›eklegomai‹, (Eph 1,4). So sagt Meyer korrekt über diesen Ausdruck, er habe immer, und dies aus zwingend logischen Gründen, einen Bezug zu einer andern Personengruppe, zu denen die Erwählten ohne die ›ekloga‹ gehörten. Dieser Ausdruck impliziert, dass die Erwählten immer schon aus einer Gruppe Verlorener herausgenommen sind. Die Lehre präsentiert die Erwählung als einen puren Akt der Gnade Gottes. Die Erwählten sind ursprünglich durchaus Verlorene wie alle anderen auch, auf die die Gnade Gottes keinerlei rettenden Einfluss genommen hat und die daher ohne Hoffnung in ihrer Sünde belassen werden. Die gerechte Verdammung der Unbußfertigen wird explizit und in scharfem Kontrast zur rettenden Gnade gelehrt, die den Erwählten trotz ihrer Sünde gewährt wird.«9797 B. B. Warfield, Biblical Doctrines, über die Prädestination, S. 64.
An einer anderen Stelle sagt er:
»Die Schwierigkeit, die einige mit dem Argument des Apostels (Röm 9,11f.) haben, hat — so vermuten wir — seine Wurzeln zum Teil darin, dass sie meinen, Gott treffe in Bezug auf Erwählung und Verdammnis Willkürentscheidungen. Sicher bekräftigt Paulus die Souveränität von Gnade und auch von der Verwerfung, wenn man diese beiden Begriffe überhaupt voneinander trennen darf; wenn er etwa die Liebe Gottes zu Jakob erwähnt, verschweigt er auch nicht, dass Gott Esau aus nicht bekannten Gründen gehasst hat; wenn er sagt, Gott sei barmherzig, wem er will, dann bekräftigt er auch, dass Gott auch diejenigen verhärtet, die er verhärten will. Die Schwierigkeit, die einigen hier entsteht, hat zweifellos damit zu tun, dass man nicht bedenkt, auf welcher Basis der Apostel hier argumentiert: dass nämlich die ganze sündige Menschheit sich den Zorn Gottes zugezogen hat. Er redet von Gott vor dem Hintergrund einer verlorenen Menschheit, und aus dieser Menschheit baut er sich ein Königtum der Gnade. Es könnte immer noch eine souveräne Erwählung und auch Verwerfung geben, auch wenn nicht alle Menschen Sünder wären; die Verwerfung wäre dann keine Verwerfung zur Strafe, zur Vertilgung, zu ewigem Tode, sondern sie würden einer anderen Bestimmung übergeben, die mit jenem Zustand übereinstimmte, in dem sich die Übergangenen befänden. Tatsächlich ist die Nichterwählung einiger nicht auf ihren sündigen Zustand zurückzuführen; da die Erwählung ja eine freie Wahl ist, muss auch die Verwerfung gleich frei sein, jedoch werden die Verworfenen der Verdammnis überlassen, weil sie Sünder sind. Nicht die allgemeine Erlösung, sondern die allgemeine Verdammnis ist die Basis, von der aus Paulus seine Theodizee entwickelt. Wenn alle den (ewigen) Tod verdienen, dann ist es ein reines Wunder, wenn irgendwer zum Leben gelangt; wer will leugnen, dass der, der solche Gnade erweist, nicht selbst bestimmen darf, wem er sie erweist und wem nicht?9898 Ebd., S. 54.
-
Schriftbelege
Zugegeben: Das ist keine ersprießliche Lehre. Sie wird auch nicht gelehrt, um sich bei Menschen einzuschmeicheln, sondern ganz einfach deswegen, weil es biblische Lehre ist — eben die Kehrseite der Erwählungslehre. Ich werde nun einige Schriftstellen anführen, die diese Lehre mit unmissverständlicher Klarheit untermauern. Sie sollten ausreichen, um jedermann zufrieden zu stellen, der die Bibel für Gottes Wort nimmt.
Spr 16,4: Für seinen Zweck hat der Herr alles geschaffen, so auch den Gottlosen für den Tag des Unglücks.
1 Petr 2,8: (Von Christus wird gesagt, er sei gegenüber den Gottlosen gemacht) zum Stein des Anstoßes, zum Fels des Ärgernisses. Sie stoßen sich an ihm, wozu sie auch bestimmt sind, weil sie dem Wort nicht gehorchen.
Jud. 4: Denn es haben sich gewisse Leute eingeschlichen, die längst für das Gericht vorgemerkt sind, gottlose Menschen, die die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen.
2 Petr 2,12: Sie aber lästern, was sie nicht verstehen, und werden auch in ihrer Verdorbenheit vernichtet werden, wie unvernünftige Tiere von Natur dazu bestimmt sind, eingefangen zu werden und zu verderben.
Offb. 17,17: Denn Gott hat ihnen den Gedanken eingegeben, seinen Willen auszuführen und einmütig ihre Herrschaft so lange dem Tier zu übertragen, bis Gottes Worte durchgeführt sind.
Offb. 13,8: (Joh ‘ Vision des Tieres hat die Aussage:) Anbeten werden es alle Bewohner der Erde, deren Namen seit Grundlegung der Welt nicht eingetragen sind im Buch des Lebens des Lammes, das geschlachtet wurde.
Jene Bewohner stehen in starkem Kontrast zu den Jüngern, die Jesus zu frohlocken auffordert, weil ihre Namen im Himmel geschrieben stehen (Lk 10,20) und auch zu den Mitarbeitern Paulus’, deren Namen im Buch des Lebens stehen (Phil. 4,3). Paulus erläutert, dass die »Gefäße des Zorns«, die vom Herrn »zum Verderben geweiht sind«, mit »Langmut ertragen worden sind«, damit Er an ihnen »seinen Zorn und seine Macht erzeige«; er kontrastiert sie mit den »Gefäßen des Erbarmens, die er für die Herrlichkeit vorausbestimmt hat« (Röm 9,22f.).
Röm 1,28: (Über die Heiden wird gesagt:) Gott hat sie dahingegeben in ihren verwerflichen Sinn, zu tun, was sich nicht ziemt.
Röm 2,5: (Dem Gottlosen wird gesagt:) Aber mit deinem Starrsinn und deinem zur Umkehr nicht bereiten Herzen häufst du dir Zorn auf für den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes.
2 Thess 2,11: (Über jene, die verlorengehen, sagt Paulus:) Deshalb schickt Gott ihnen die Kraft der Verführung, dass sie der Lüge Glauben schenken.
Sie werden aufgerufen, diese Dinge äußerlich zur Kenntnis zu nehmen, sich über sie zu wundern und in ihren Sünden zuschanden zu werden. Man beachte die Worte des Paulus in der Synagoge in Antiochien in Pisidien: »Schaut, ihr Verächter, staunt und vergeht! Ein Werk vollbringe ich in euren Tagen, ein Werk, das ihr nicht glauben würdet, wenn einer es euch erzählte.«
Nachdem Johannes berichtet hat, wie ungläubig das Volk geblieben war, selbst nachdem Jesus derart viele Wunder getan hatte, fügt er hinzu: »Sie konnten nicht glauben; denn Jesaja hat weiter gesagt: ›Er hat ihre Augen geblendet und ihr Herz verhärtet, damit sie mit den Augen nicht sehen und mit dem Herzen nicht verstehen und sich nicht bekehren, dass ich sie heile.‹« Der Befehl Christi den Gottlosen im jüngsten Gericht gegenüber ist wohl der stärkste Beweis für die Lehre der Verwerfung: »Hinweg von mir, ihr Verfluchten, ins ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bereitet ist!« (Mt 25,41); es ist nicht von Belang, ob dieser Befehl in Zeit oder Ewigkeit ergeht. Was Gott richtig erscheint, im Zeitlauf zu tun, ist auch nicht falsch, wenn es bereits in seinem ewigen Plan enthalten ist. Einmal sagt Jesus: »Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen: Die Blinden sollen sehend, die Sehenden blind werden« (Joh 13,39). Ein andermal sagt er: »Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Klugen verborgen, Kleinen aber geoffenbart hast« (Mt 11,25). Es fällt der menschlichen Vernunft schwer, zuzugeben, dass gerade jener anbetungswürdige Erlöser und einzige Erretter der Menschen für einige ein Stolperstein und ein Stein des Anstoßes ist, und dennoch erklärt ihn die Schrift genau dazu. Noch vor seiner Inkarnation war er bestimmt zum Fall und zur Auferstehung vieler in Israel (Lk 2,34). Wenn er in seinem vermittelnden Gebet in Gethsemane gesagt hat: »Für sie bitte ich, nicht für die Welt bitte ich, sondern nur für jene, die du mir gegeben hast«, so wird man sagen müssen, dass die Lehre der vorherbestimmten Verwerfung doch sehr stark fundiert ist.
Jesus selbst erklärte, dass einer der Gründe, weshalb er in Gleichnissen rede, der sei, dass die Wahrheit denen verhüllt wird, für welche sie nicht bestimmt ist. Wir lassen die heilige Geschichte selbst für sich sprechen: »Da kamen die Jünger und fragten ihn: Warum redest du zu ihnen in Gleichnissen? Er antwortete ihnen: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehen. Jenen ist es nicht gegeben. Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird noch weggenommen, was er hat. Darum rede ich zu ihnen in Gleichnissen, weil sie sehen und doch nicht sehen, hören und doch nicht hören und nicht verstehen. So erfüllt sich für sie die Weissagung Jesajas: Mit den Ohren sollt ihr hören und doch nicht verstehen; mit den Augen sollt ihr sehen und doch nicht erkennen. Denn verstockt ist das Herz dieses Volkes. Mit den Ohren hört es schwer, seine Augen hat es geschlossen, damit es mit den Augen nicht sieht und mit den Ohren nicht hört, mit dem Herzen nicht versteht und sich nicht bekehrt, dass ich es heile« (Mt 13,10—15; Jes 6,9f.).
In diesen Worten haben wir die Anwendung eines anderen Jesuswortes: »Gebt das Heilige nicht den Hunden, und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor, damit sie sie nicht mit ihren Füßen zertreten, sich umwenden und euch zerreißen« (Mt 7,6). Jeder, der behauptet, dass Christus geplant hat, seine rettende Wahrheit jedem anzubieten, der widerspricht Christus selbst. Den Verworfenen bleibt die Bibel ein verschlossenes Buch, nur dem echten Christen ist es »gegeben«, die Dinge darin zu sehen und zu verstehen. Diese Wahrheit ist dermaßen wichtig, dass es dem Heiligen Geist gefallen hat, die Jesajastelle im Neuen Testament sechsmal zu wiederholen (Mt 13, 14f.; Mk 4,12; Lk 8,10; Joh 12,40; Apg 28,27; Röm 11,9f.). Paulus teilt uns klipp und klar mit: Die Erwählten sind es aus Gnade; die Übrigen werden verhärtet. Er fügt hinzu: »Gott gab ihnen einen Geist der Betäubung, Augen, um nicht zu sehen, Ohren, um nicht zu hören, bis auf den heutigen Tag.« Und David sagt: »Ihr Tisch soll ihnen werden zum Strick und Strang, zum Verderben und zur Vergeltung. Ihre Augen sollen finster werden, dass sie nicht sehen; ihren Rücken beuge allezeit!« (Röm 11,8—10).
Aus all diesen Gründen trägt die evangelische Verkündigung einigen gegenüber nicht zur Heilung, sondern zur Verstockung bei. Diese gleiche Lehre findet in zahlreichen anderen Stellen der Bibel die gleiche Anwendung. Mose sagte zu den Kindern Israel: »Doch Sihon, der König von Heschbon, wollte uns den Durchzug nicht gestatten. Denn der Herr, dein Gott, hatte seinen Sinn unbeugsam und sein Herz hart werden lassen, um ihn in deine Gewalt zu geben, wie es heute der Fall sein wird.« Über die kanaanitischen Stämme, die Josua Widerstand leisteten, wird gesagt: »Denn vom Herrn war es so gefügt, dass er ihr Herz verhärtete, so dass sie gegen Israel stritten, damit ohne Gnade der Bann an ihnen vollstreckt werden könnte und sie ausgerottet würden, wie der Herr dem Mose geboten hatte« (Jos11,20). Hophni und Pinhas, die Söhne Elis, »hörten nicht auf ihres Vaters Worte; denn der Herr hatte beschlossen, sie sterben zu lassen« (1 Sam 2,25). Obgleich der Pharao gegenüber den Israeliten gottlos und arrogant gehandelt hatte, gibt Paulus keinen anderen Grund für seine Verwerfung an als den, dass er ein Verworfener sei, dessen Handlungen zum Guten ausschlagen müssen: »Gerade dazu habe ich dich erweckt, um an dir meine Macht zu zeigen, damit mein Name auf der ganzen Erde verkündet werde« (2 Mo 9,16).
All diese Verworfenen sind blind und verstockter Herzenshärtigkeit; wenn von jemandem wie dem Pharao gesagt wird, er sei von Gott verhärtet worden, dann können wir sicher sein, dass er in sich selber schon wert ist, dem Satan übergeben zu werden. Die Herzen der Gottlosen werden freilich nicht auf direktem Wege von Gott verhärtet; er erlaubt es dem Menschen ganz einfach, den ureigensten inneren Impulsen seiner selbst zu folgen, so dass das Resultat der eigenen Wahl ihn tiefer und tiefer in seine unempfindliche Rebellion führt. Wenn gesagt wird, Gott verhärte das Herz Pharaos, so heißt das auch: er selber trotzte (2 Mo 8,15; 8,32; 9,34). Die eine Beschreibung ist vom göttlichen Standpunkt aus gesehen, die andere vom menschlichen aus. Gott ist der Letztverantwortliche, insofern er es dem menschlichen Herzen erlaubt, eigene Wege zu gehen; die inspirierten Schreiber haben das in anschaulichen Bildern geschildert, doch niemals dürfen wir meinen, dass Gott die unmittelbare oder direkte Ursache der Sünde ist!
Obgleich diese Lehre sehr unangenehm ist, ist sie nichtsdestoweniger biblisch. Da die Bibel sie so klar lehrt, können wir den Einwänden, die ihr entgegengebracht werden, keinen anderen Grund zuweisen als völlige Unkenntnis und unreflektierte Vorurteile, wie sie Menschen gerne mitbringen, wenn sie das erste Mal mit dieser Lehre in Kontakt kommen. Wie passend ist hier, was Rice gesagt hat:
»Wie schön wäre es für Kirche und Welt, wenn die Diener Christi und sein gesamtes Volk damit zufrieden wären, Jünger zu sein, eben ›Lernende‹; wenn sie doch ihre beschränkten Fähigkeiten bedächten, ihre Unwissenheit göttlichen Dingen gegenüber einsähen und sich ihrer Fehlbarkeit erinnerten, da sie ja gefallene und vorurteilshafte Wesen sind; sie könnten dann zu Füßen Jesu sitzen und von Ihm lernen. Die Kirche stand fast in jedem Zeitalter unter dem Fluch von Männern, die sie mit dem Vertrauen auf ihre eigene Vernunft angesteckt hatten. Sie hatten es unternommen, über Vernunft oder Unvernunft von Lehren zu urteilen, die jenseits ihrer Vernunft stehen und einzig und allein Sache der Offenbarung sein können. Sie haben sich eingebildet, ›die Tiefen Gottes‹ verstehen zu können; sie haben die Schriftstellen nicht nach der offenkundigen Bedeutung ausgelegt, sondern anhand ihrer endlichen Vernunft. … Niemand hat je die Natur oder auch das Buch der Offenbarung studieren können, ohne sich von allen Seiten von Geheimnissen umgeben zu sehen, die er nicht lösen kann. Der Philosoph muss sich mit den Fakten begnügen, der Theologe muss sich mit dem zufrieden geben, was Gott offenbart hat.«9999 Nathan Lewis Rice, God Sovereign and Man Free, S. 3, 4.
Es ist schon seltsam: Viele verteidigen die die Lehre der Dreieinigkeit mit dem Hinweis darauf, dass man sich hier von allen vorgefassten Meinungen freimachen müsse und dass man sich nicht auf den menschlichen Verstand verlassen dürfe, wenn man entscheidet, was rechtens über Gott ausgesagt werden darf. Sie bestehen darauf, dass auch hier die Schrift das letzte Wort haben muss. Wenn die Rede allerdings auf die Prädestinationslehre kommt, weigern sie sich, diese Prinzipien auf diese Lehre anzuwenden.
-
Die Basis der Lehre — die Erbsünde
-
Den Nichterwählten wird kein Unrecht getan
Offensichtlich stört uns an der Prädestinationslehre der Teil, in dem behauptet wird, Gott habe aufgrund eines souveränen und ewigen Beschlusses einen Teil der Menschheit zur Errettung bestimmt und damit den anderen Teil der Menschheit der Verdammnis überlassen. Das scheint unserem gewohnten Gedankengang ungerecht zu sein und bedarf demzufolge einer Erklärung. Die Verteidigung der Lehre von der Verwerfung kann erst verstanden werden, wenn man die Idee der Erbsünde und der daraus resultierenden Unfähigkeit des Menschen verstanden hat. Der Beschluss betrifft zunächst die ganze Menschheit. Niemand hat Anspruch auf Gottes Gnade. Anstatt alle Menschen ihrer Bestrafung zu überlassen, wendet Gott einem Teil der Menschheit unverdiente Seligkeit zu — ein Akt der puren Barmherzigkeit und Gnade, gegen den niemand Einspruch erheben kann —, die anderen bleiben unberücksichtigt. Dadurch wird diesen Menschen nichts vor- enthalten, was zu beanspruchen sie irgend ein Recht hätten. Folglich hat auch niemand das Recht, diesen Teil des Beschlusses anzufechten. Handelte der Beschluss von Unschuldigen, so wäre es in der Tat ungerecht, einen Teil der Verdammnis zu überlassen, aber da der Beschluss von einer sündigen Menschheit in einem durch und durch sündigen Zustand handelt, ist er mitnichten ungerecht.
»Die Auffassung, die Welt liegt im Argen und ist schon gerichtet (Joh 3, 18) — auf jene, die nicht aus diesem ,Argen‘ erlöst werden, wird der Zorn Gottes nicht ausgegossen, sondern er bleibt vielmehr auf ihnen (Joh 3,36. 1. Joh 3,14) — ist das Fundament der ganzen Vorstellung. Daher erklärt Jesus, dass er nicht gekommen sei, die Welt zu richten, sondern sie zu retten (Joh 3,17; 3,12; 9,5; 12,47; vgl. 4,42). Sein Ziel ist es, das Leben in die Welt zu bringen (Joh 6,33.51); eine Welt, die bereits verdammt ist, braucht keine weitere Verdammnis mehr, sondern Erlösung.«100100 B. B. Warfield, Biblical Doctrine, S. 35.
Der schuldige Mensch hat alle Rechte verloren und untersteht dem Willen Gottes. Er steht nun Gottes absoluter Souveränität gegenüber, und wenn Gott in einigen Fällen Gnade erzeigt, dann können wir nicht wagen, seine Gerechtigkeit den Verworfenen gegenüber infrage zu stellen, ohne damit seine Herrschaft über das Universum ebenso zu hinterfragen. Wird der Beschluss der Prädestination in diesem Licht gesehen, dann trifft er auf eine große Masse Verlorener, lässt aber nur einen Teil dieser Menschen in ihrem Zustand. Wenn alle die Strafe schon von vornherein verdienen — wie könnte es dann ungerecht sein, diese Strafe auch von vornherein festzulegen? Es wäre ja die Ausführung eines gerechten Urteils sonst selbst ungerecht. Dr. Clark sagt:
»Wenn der Arminianismus behauptet, Glaube und Werk legen den Grund zur Erwählung, so widersprechen wir. Behauptete er dagegen, dass der vorhergesehene Unglaube und Ungehorsam der Grund für die Verwerfung sind, dann stimmen wir gerne zu. Ein Mensch wird nicht aufgrund irgendwelcher guter Eigenschaften gerettet, sondern ist aufgrund seiner Sünde verdammt. Als konsequente Calvinisten beharren wir darauf: Während einige Menschen trotz ihres Unglaubens und Ungehorsams erlöst werden — und unter diesen Unglauben und Ungehorsam fallen grundsätzlich alle Menschen ohne Ausnahme —, werden einige nicht erlöst. Trotzdem ist es immer die Sündigkeit des Sünders, was der Grund für seine Verwerfung ist. Erwählung und Verwerfung basieren auf verschiedenen Fundamenten: Erwählung auf Gottes Gnade, Verwerfung auf der Sünde des Menschen. Es ist eine böswillige Verdrehung, die dem Calvinismus angedichtet wird, wenn man sagt, er behaupte: Wenn Gott einen Menschen ohne Hinblick auf dessen Charakter errette, dann tue er das auch in Bezug auf die Verdammnis und verdamme einen Menschen, ohne seinen Charakter zu bedenken.«101101 David. S. Clark, A Syllabus of Systematic Theology, S. 219f.
Die Verwerfung oder das Übergehen der Nichterwählten hat ihren Grund nicht nur in dem Vorherwissen seiner fortwährenden Sündigkeit, denn wenn das die Ursache dafür wäre, dann wäre dies das Schicksal aller Menschen, da wir uns alle unter dies Urteil stellen müssten. Es kann auch nicht gesagt werden, dass diejenigen, die übergangen werden, in jedem Fall schlimmere Sünder seien als jene, die zu ewigem Leben geführt werden. Die Schrift schreibt Glauben und Umkehr immer dem Wohlgefallen Gottes und der speziellen Gnadenwirkung Seines Geistes zu. Diejenigen, die meinen, der Mensch sei an sich unschuldig und verdiene die Erlösung, sind freilich über die Lehre sehr erbost, dass ein Teil der Menschheit von vornherein102102 Von vornherein meint hier nicht: zum Sündigen geschaffen, wie der Arminianismus den Calvinismus notorisch falsch versteht, sondern von vornherein meint: Der Sünder kommt schon als Sünder zur Welt und ist immer schon ein Verlorener. Man muss der Schwierigkeit jener erschreckenden Lehre mit der Askese gegenüber alltäglich eingespielten Reaktionen und erlernten Deutungsmustern begegnen und sich so vor eingewurzelten Vorurteilen freizumachen suchen (A. d. Ü.). verloren ist. Wenn die Lehre von der Erbsünde im rechten Licht gesehen wird — und diese Lehre steht glasklar in der Schrift —, dann verschwinden die Einwände gegen die Prädestinationslehre von selbst, und die Verurteilung der Gottlosen scheint gerecht und natürlich. Daher geht die Erlösung einzig von Gott aus, während wir uns die Verdammnis selbst zuzuschreiben haben.
Der Mensch geht verloren, weil er nicht zu Christus kommen will; derjenige, der da will, der will deshalb, weil Gott den Willen in ihm bewirkt. Gnade, erwählende Gnade: dies zieht den Willen und hält ihn sich recht; dieser Gnade gebührt alles Lob und aller Preis. Gott hat in seiner Gnade einige erwählt aus einer Welt sündiger und rebellischer Geschöpfe: Menschen, die es nicht verdienen, gerettet zu werden, sondern mit allen anderen und auch den gefallen Engeln (2 . Petr. 2,4; Jud. 6) verlorenzugehen. Er hat alles auf sich genommen, um seinem Volk die Erlösung zu bringen. Die Sühne ist allein seine Sache, und hier darf er — und wird er auch — erretten, welche er will. Die Gnade wird dem einen gewährt und dem anderen verwehrt, ganz wie es ihm gefällt. Es darf dabei nicht außer Acht gelassen werden: Dass Er seine Gnade den Nichterwählten vorenthält, ist der negative Aspekt ihres Verderbens; so wird ja auch die Abwesenheit des Arztes gegenüber dem Todkranken ›nur‹ Anlass, nicht bewirkende Ursache seines Todes. Dr. Charles Hodge:
»Aus der Sicht eines unendlich guten und gnädigen Gottes war es notwendig, dass einige Menschen dieser rebellischen Menschheit die Strafe des Gesetzes erleiden müssen, welches alle gebrochen haben. Es ist Gottes Vorrecht, im Voraus zu bestimmen, wer ›Gefäß der Gnade‹, und wer den Folgen seiner Sünden überlassen wird.«103103 Hodge, Systematic Theology, Bd. 2, S. 652.
Da sich der Mensch selbst in diesen Zustand der Sünde manövriert hat, ist seine Verdammnis gerecht; den Anforderungen des Gesetzes wird durch die Strafe Genüge getan. Das Gewissen sagt uns, dass der Mensch gerechterweise untergeht, da er lieber dem Satan als Gott folgt. »Und doch wollt ihr nicht zu mir kommen, um das Leben zu haben« (Joh 5,40), sagte Jesus. Prof. F. E. Hamilton trifft den Punkt:
»Alles, was Gott tut, ist, dass er ihn (den Nichtwiedergeborenen) sich selbst überlässt und es ihm erlaubt, ›ungestört‹ seiner eigenen Wege zu gehen. Seiner Natur nach ist er böse, und Gott hat nur vorherbestimmt, diese Natur unverändert zu lassen. Wie Gegner des Calvinismus das Bild gerne malen: dass ein grausamer Gott es ablehnt, Menschen zu erretten, die sich nach Erlösung sehnen, ist eine abscheuliche Karikatur. Gott errettet alle, die errettet werden wollen, doch ist die Natur des Menschen, wenn sie nicht schon von Gott verändert wird, derart, dass er gar nicht gerettet werden will.«104104 Quelle nicht angegeben.
Diejenigen, die verloren werden, werden verloren, weil sie es wählen, in den Wegen der Sünde zu gehen; das ist die wahre Hölle: die Hölle zieht ihre Kinder an. Viele Menschen reden so, als sei Erlösung so etwas wie ein Geburtsrecht. Sie vergessen die Tatsache, dass der Mensch seine Chance in Adam vertan hat und meinen, Gott sei ungerecht, wenn er die Erlösungsmöglichkeit nicht allen Menschen anbietet. Dass die Erlösung aufgrund einer menschlichen Tat zuerkannt werden soll, kommentiert Luther mit folgenden Worten:
»Lass uns, ich bitte dich, einmal annehmen, dass Gott wirklich auf die Werke der Verdammten acht gebe. Müssen wir dann nicht gleicher Weise auch die Werke der Erlösten in Rechnung zu bringen? Folgen wir dem Wege der Vernunft, dann entspricht es ihr, jene zu krönen, die es nicht verdient haben, gleich wie es ihr entspricht, jene zu verdammen, die das verdient haben.«105105 Luther, Bondage of the Will, Sect. CVII. Ich habe dieses Zitat im Deutschen nicht finden können (A. d. Ü.).
Niemand, der richtig von Gott denkt, wird auf den Gedanken verfallen, Gott handle spontan, ohne vorherige Überlegung. Wir sprechen hier über den ewigen Plan Gottes: Was in Zeit und Raum geschieht, hat er von Ewigkeit her beschlossen. Diejenigen, die er errettet, hat er zu erretten schon in Ewigkeit sich vorgenommen, und diejenigen, die er dem Verderben überlässt, sind sich schon von Ewigkeit her dem Verderben überlassen.
Gottes gerechtes Handeln in Zeit und Raum hindert ihn nicht, mit gleichem Grund jenseits von Zeit und Raum ein solches Handeln von Ewigkeit her schon festzulegen. Das Prinzip dieses Handelns ist in beiden Fällen das gleiche. Wenn wir zurecht sagen, dass Gott von Ewigkeit her geplant hat, einer großen Anzahl Sündern zu vergeben, warum geben sich dann einige so viel Mühe, zu zeigen, dass wir unrecht haben, wenn wir behaupten, es treffe umgekehrt auch zu, dass Gott von Ewigkeit her geplant hat, den Rest der Menschheit der gerechten Strafe zu überlassen?
Wenn es Gott recht ist, einige Menschen nach ihrer Geburt nicht zu retten, dann ist es ihm auch recht, sie schon vor ihrer Geburt oder von Ewigkeit her nicht zu retten. Da der bestimmende Wille Gottes allmächtig ist, kann er auch nicht blockiert oder nichtig gemacht werden. Wenn das stimmt, dann folgt daraus, dass er niemals wollte noch jemals will, dass jeder Mensch errettet werde. Wenn er das gewollt hätte, dann ginge kein Mensch verloren, denn »wer kann gegen seinen Willen bestehen?« Hätte er gewollt, dass niemand verlorengeht, hätte er allen Menschen die wirksame Gnade zugewendet, ohne die man nicht auskommt. Gott hätte dies ohne weiteres tun können, aber wir sehen, dass er es nicht tut. Daher ist es nur logisch, dass es nicht etwa sein verborgener oder bestimmter Wille sein kann, dass alle Menschen gerettet werden. Tatsächlich sind die zwei Wahrheiten: dass nämlich Gott erstens das, was er tut, von Ewigkeit her tut und zweitens, dass nur ein Teil der Menschheit gerettet wird, genug, um die Lehre von der Erwählung und der Verwerfung nun abzuschließen.
-
Der Zustand der Heiden
Schon die Tatsache, dass nach der Vorsehung Gottes einige Menschen das Evangelium überhaupt nie zu hören bekommen und auch nicht in den Genuss der anderen Gnadenmittel kommen, zeigt schon das Prinzip, das der Calvinismus mit der Prädestinationslehre aufstellt. Wir sehen, dass zu jeder Zeit der größere Teil der Menschheit hinsichtlich der äußeren Gnadenmittel völlig alleine gelassen worden ist. Viele Jahrhunderte waren die Juden, ein vergleichsweise kleines Volk, die einzigen Menschen, denen sich Gott offenbart hat. Jesus beschränkte sein öffentliches Auftreten fast nur auf sie und verbot seinen Jüngern vor Pfingsten sogar, zu den Heiden zu gehen (Mt 10,5f.; 28,19; Mk 16,15; Apg 1,4). Eine große Anzahl von Menschen hatte keinerlei Chance, das Evangelium auch nur zu hören — sie starben folglich in ihren Sünden. Hätte Gott vorgehabt, sie zu retten, so hätte er ihnen diese Möglichkeit zweifellos gegeben. Hätte er vorgehabt, Indien und China vor tausend Jahren zu erretten, dann hätte er auch dies zuwege gebracht. Stattdessen sind sie in großer Dunkelheit und Unglauben gelassen worden. All jene Zeiten der Sünde, des Elends und des Todes können keine andere Erklärung finden als die der Schrift: In Adam haben alle gesündigt, in ihm sind alle gefallen. Gott errettet in seiner souveränen Gnade eine unzählbare Schar, und das durch eine Erlösung, die er selbst dafür bestimmt und bereitet hat. Es ist eine verdrehte und entehrende Sicht, wenn man sich Gott als jemanden vorstellt, der sich mit ungehorsamen Menschen herumschlägt, indem er sein Bestes tut, um sie zu bekehren, seinen Zweck aber dennoch oft nicht erreichen kann.
Wäre die arminianische Theorie wahr, dass Christus für alle Menschen gestorben sei und dass dies allen zugute kommen sollte, so sollte man doch meinen, Gott müsse Vorsorge getroffen haben, dass das Evangelium auch jedermann zu hören bekomme. Das Problem der Heiden, die ohne Evangelium leben und sterben, hat den Arminianismus immer schon gequält, beharrt er doch darauf, dass alle Menschen die Gnade haben könnten, wenn sie sie nur wollten. Nur wenige würden leugnen, dass es zur Errettung auch darauf ankomme, dass ein Mensch das Evangelium hört und annimmt. Das Christentum ist sich in diesem Punkt wenigstens einig: die Heiden als Masse sind verloren. Dass dies biblische Lehre ist, kann leicht gezeigt werden:
Apg 4,12: In keinem anderen ist das Heil. Denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir das Heil erlangen sollen.
Röm 12,2: Alle, die ohne das Gesetz gesündigt haben, werden ohne das Gesetz dem Verderben anheimfallen.
1 Kor 3,11: Denn niemand kann einen anderen Grund legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.
Joh 15,5: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
Joh 14,6: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben: niemand kommt zum Vater außer durch mich.
Joh 3,36: Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern Gottes Zorn lastet auf ihm.
1. Joh 5,12: Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht.
Joh 17,3: Das ewige Leben besteht aber darin, dass sie dich erkennen, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus.
Hebr. 11,6: Ohne Glauben aber ist es unmöglich, Gott zu gefallen.
Röm 10,13f: Denn jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden. Doch wie sollen sie den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie von ihm hören, wenn ihnen niemand verkündet?
Anders gefragt: Wie können die Heiden gerettet werden, wenn sie nicht einmal von Christus gehört haben, der doch der einzige Weg zur Errettung ist? Jesus aber sagte ihnen:
Joh 6,53: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr kein Leben in euch.
Ez 33,8: Wenn ich zu dem Gottlosen sage: »Gottloser, du musst sterben!«, und du sagst dies nicht, um den Gottlosen zu warnen vor seinem bösen Weg, wird zwar der Gottlose wegen seiner Schuld sterben, aber sein Blut werde ich von deiner Hand fordern.
Es wird zwar der Wächter verantwortlich gemacht; am Schicksal der Völker ändert das nichts. Jesus erklärte, dass selbst die Samariter, die wesentlich größere Privilegien genossen als die Völker außerhalb Palästinas, nicht wussten, wen sie anbeteten, und dass die Erlösung von den Juden komme. Vergleichen wir damit die ersten zwei Kapitel des Römerbriefs. Die Heilige Schrift macht sehr deutlich: Unter normalen Bedingungen geht jeder, der weder Christus noch das Evangelium hat, verloren.
Wir stimmen mit dem Westminster-Bekenntnis überein, welches lehrt, dass jene, die Christus ablehnen, nicht errettet werden können. Es heißt da:
Viel weniger können Menschen, die den christlichen Glauben nicht bekennen, auf irgendeine andere Weise gerettet werden, seien sie auch noch so fleißig, ihr Leben nach der natürlichen Offenbarung und den Vorschriften der Religion, die sie bekennen, einzurichten.106106 WB, Art. 10.4.
Tatsächlich hat die Auffassung, dass die Heiden ohne Evangelium verlorengehen, der Heidenmission zu den stärksten Argumenten verholfen. Wenn wir glaubten, ihre Religionen gäben ihnen genug Licht und Wahrheit, um sie zu erretten, dann wäre die Verkündigung des Evangeliums nicht sehr wichtig für sie. Unsere Haltung der Mission gegenüber wird ziemlich stark von der Antwort bestimmt, die wir auf diese Frage haben.
Wir leugnen nicht, dass Gott auch einige aus den erwachsenen Heiden retten kann, wenn er es so will, denn sein Geist weht dort, wo immer er will, mit oder ohne Mittel. Wenn dies aber geschieht, dann durch ein pures Gnadenwunder. Es ist sicher, dass Gottes »normaler« Weg der ist, sein Volk aus dem evangelisierten Teil der Menschheit zu sammeln; dennoch müssen wir zugeben: Es können durchaus auch Menschen aus nichtevangelisierten Teilen der Menschheit errettet werden. (Das Schicksal der Kleinkinder aus heidnischen Ländern erörtere ich später unter dem Titel »Kindes-Erlösung«.)
Es ist unvernünftig, anzunehmen, dass der Mensch etwas verwenden könne, von dem er gar nichts weiß. Wie man leicht sehen kann: Vergnügungen, Lebensfreude und Gelegenheiten sind den Heiden meist fremd, und wir können uns gut denken, dass ihnen diese Dinge auch nach dem Tod fehlen werden. Jene, die nach Vorsehung in heidnischer Dunkelheit leben müssen, etwa das westliche China, können Christus ebenso wenig annehmen, wie sie Radio hören können, fliegen können oder die kopernikanische Astronomie kennen können. Wenn Gott Menschen in solche Zustände hineingeboren werden lässt, dann können wir davon ausgehen, dass sie ebenso sicher gerettet werden, wie es ausgemacht ist, dass der Boden Nordsibiriens, der das ganze Jahr gefroren ist, Unmengen an Weizen hervorbringt. Beabsichtigte Gott tatsächlich, sie zu retten, so hätte er sie mit den notwendigen Mitteln versorgt, damit sie dies Ziel erreichen können. Und gibt es nicht Unmengen an Namenschristen in so genannten christianisierten Ländern, die das Evangelium noch niemals angemessen gehört haben und die damit nicht einmal die äußerlichen Mittel der Erlösung haben (um nicht vom völlig hilflosen Zustand ihres Herzens zu sprechen)?
Das alles soll freilich nicht bedeuten, dass alle Verlorenen das gleiche Strafmaß erleiden werden. Wir glauben, dass von einem allgemeinen Nullpunkt aus alle Grade der Belohnung und alle Grade der Strafe vorkommen werden, und dass der Grad der Belohnung oder der Strafe zu einem gewissen Ausmaß auf die Möglichkeiten zurückzuführen ist, die ein Mensch im Leben gehabt hat. Jesus selbst hat einmal gesagt, dass es Sodom am Tage des Gerichts erträglicher gehen wird als jenen Städten Palästinas, die seine Botschaft hörten und dennoch verworfen hatten (Lk 10,12—14). Er beschließt das Gleichnis von den treuen und untreuen Knechten wie folgt: »Jener Knecht, der den Willen seines Herrn zwar kennt, aber nicht danach handelt, wird viele Schläge erhalten. Wer ihn dagegen nicht kennt, aber strafwürdig handelt, wird wenige Schläge erhalten. Wem viel gegeben ist, von dem wird viel gefordert; wem viel anvertraut ist, von dem wird um so mehr verlangt werden« (Lk 12,47f.). Während die Heiden also verlorengehen, werden sie vergleichsweise weniger leiden als jene, die das Evangelium gehört haben, es aber abgelehnt haben. Das Problem der heidnischen Völker betreffend, befindet sich der Arminianismus von Anfang an in Schwierigkeiten, die seinen ganzen Entwurf zum Einsturz bringen. Es sind Schwierigkeiten, von denen er sich niemals hat freimachen können. Viele glauben, dass jedem ausreichend Gnade erteilt oder zumindest die Möglichkeit dazu gegeben werden müsse, bevor jemand rechtmäßig verdammt werden kann; die Verwerfung sei folglich erst ein Ereignis, das in der Zukunft stattfindet — doch dies ist nicht nur ohne jeden Beleg aus der Schrift, sondern widerspricht ihr sogar. Es ist, wie Cunningham sagt:
»Calvinisten haben diesen Umstand stets als das stärkste Argument gegen die arminianischen Lehren von der allumfassenden Gnade und generellen Erlösung107107 »Generelle Erlösung« ist nicht gleich Allversöhnung, sondern bedeutet, Jesus ist ausnahmslos für alle Menschen gestorben (A. d. Ü.). gehalten. Sie sahen darin ein Argument zugunsten ihrer eigenen Sichtweise von der souveränen Absicht Gottes, die vielmehr einen Großteil der Menschheit in Unwissenheit über Seine Gnade gelassen hat und auch über den Weg der Erlösung, den das Evangelium zeigt. Die Umstände, denen diese Menschen ausgesetzt sind, werfen ihnen allem Anschein nach solch unüberwindliche Hindernisse in den Weg, dass sie niemals Kenntnis von Gott und Jesus Christus erlangen können, die zu ewigem Leben führt.«108108 Cunningham, Historical Theology, Bd. 2, S. 397.
Nur der Calvinismus mit seiner Lehre von der allumfassenden Schuld und Verderbtheit, in die die Menschheit durch die Sünde Adams gefallen ist — in Kombination mit seiner Gnadenlehre von der unbedingten Erwählung einzelner — kann eine angemessene Erklärung für das Problem der Heiden finden.
-
Was bezweckt die Lehre von der Verwerfung?
Die Verdammnis der Nichterwählten ist hauptsächlich dazu da, vor Menschen und Engeln eine ewige Zurschaustellung zu liefern. Sie soll zeigen, wie sehr Gott die Sünde hasst. Mit anderen Worten: sie ist Ausdruck der ewigen Gerechtigkeit Gottes. (Man erinnere sich daran, dass Gottes Gerechtigkeit die Bestrafung von Sünde ebenso fordert wie die Belohnung der Gerechtigkeit.) Dieser Beschluss zeigt eine der göttlichen Eigenschaften, die ohne diesen Beschluss gar nicht richtig geschätzt werden könnte. Die Errettung einiger durch einen Erlöser ist Ausdruck von Gottes Liebe, Barmherzigkeit und Heiligkeit. Weisheit, Macht und Souveränität zeigen sich an beiden Gruppen der Menschheit. Dies zeigt die Stelle aus Sprüche 16,4: »Für seinen Zweck hat der Herr alles geschaffen, so auch den Gottlosen für den Tag des Unglücks«. Paulus, für den Gott damit ausdrücken will, sagt: »Was, wenn also Gott die Gefäße des Zornes, die dem Verderben geweiht sind, mit viel Langmut ertragen hat, um nun an ihnen seinen Zorn zu zeigen und seine Macht zu offenbaren? Und wenn er an den Gefäßen des Erbarmens, die er für die Herrlichkeit vorausbestimmt hat, den Reichtum seiner Gnade zeigen will?« (Röm 9,22f.).
Der Beschluss zur Verwerfung einiger dient auch noch anderen, untergeordneten Zielen in Bezug auf die Erwählten, da sie im Hinblick auf die Ablehnung und den letzten Zustand der Gottlosen erstens sehen, was sie ebenfalls zu erleiden gehabt hätten, hätte die göttliche Gnade sie nicht davor bewahrt. So werden sie nur noch tiefer hineingeführt in die göttliche Liebe, die sie aus der Sünde gerissen und ins ewige Leben gebracht hat, während andere nicht etwa schuldiger oder unwerter waren als sie selbst, jedoch der ewigen Verdammnis überlassen werden. Zweitens: Die Erwählten haben hiermit einen guten Grund mehr zur Dankbarkeit für solche Gaben. Drittens: Der Erwählten Vertrauen in ihren himmlischen Vater wird gestärkt; er wird immer und für alles sorgen, wessen sie bedürfen, im Diesseits und im Jenseits. Viertens: Was sie geschenkt bekommen haben, wird sie ihren himmlischen Vater noch um so mehr lieben machen, so dass sie gewillt sind, ein heiliges Leben zu führen. Fünftens: Sie werden die Sünde noch viel mehr hassen. Sechstens werden sie enger mit Gott leben wollen und auch die Beziehung untereinander besser pflegen wollen, da sie ja gemeinsame Erben des himmlischen Königreichs sind, und siebentens geschah die Ablehnung der Juden nicht ohne Grund, wie Paulus von Anfang an klar macht: »Ich frage nun: Sind sie gestrauchelt, nur um zu Fall zu kommen? Das sei fern! Vielmehr ist durch ihren Fehltritt den Heiden das Heil zuteil geworden; und das soll sie zur Eifersucht reizen« (Röm 11,11).
So sehen wir: Gott hat die Juden aus einem sehr weisen und bestimmten Grund in diesen blinden Zustand kommen lassen: Erlösung sollte den Heiden zuteil werden, und dies sollte auf die Erlösung der Juden zurückwirken. Historisch gesehen, besteht die Kirche Christi hauptsächlich aus Heiden. Aber jede Zeit hat ihre bekehrten Juden gehabt, und wir glauben, je länger, desto mehr Juden werden sich »zur Eifersucht anreizen« lassen, zu Gott umzukehren. Ein ganzer Abschnitt aus Röm 11 macht deutlich, dass ein beachtlicher Teil der Juden letztlich bekehrt werden wird und die Juden eifrig der Gerechtigkeit nachjagen werden.
-
Der Frontalangriff des Arminianismus
Die Lehre von der Verwerfung ist das Hauptangriffsziel des Arminianismus. Er isoliert sie und hebt sie aus dem Gesamtzusammenhang heraus, als sei sie die Summe und Substanz des Calvinismus, während die anderen Lehren, etwa die Lehre von der Souveränität Gottes, die Erwählung einzig aus Gnaden, die Bewahrung der Gläubigen usf., die Gott ehren, nur am Rande erwähnt oder sogar kommentarlos übergangen werden. Auf der Synode von Dordrecht beharrten die Arminianer darauf, die Verwerfungslehre zu diskutieren und beschwerten sich der Härte, als die Synode nicht darauf eingehen wollte. Das hat sich bis heute nicht geändert: ihr Einwand ist klar, denn sie wissen, dass es sehr einfach ist, diese Lehre zu ihrem eigenen Vorteil zu missbrauchen. Oft verzerren sie die Ansichten der Calvinisten, und nachdem sie steif und fest behauptet haben, so etwas wie vorherbestimmte Verwerfung könne es gar nicht geben, weiten sie diese Behauptung auch auf die Erwählungslehre aus. Die einseitige Betonung der Verwerfungslehre zeigt alles andere als Vorurteilslosigkeit und Ernst gegenüber der Suche nach Wahrheit. Sie sollten sich besser mit der erfreulicheren Seite des Systems beschäftigen und auf die wesentlich größere Evidenz dessen antworten, was ich zugunsten des Systems schon alles zusammengetragen habe.
Der Calvinismus sucht zuerst zu zeigen, dass die Erwählungslehre der Wahrheit entspricht, und wenn ihm das hinlänglich gelungen ist, schickt er sich an, zu zeigen, dass die Verwerfung nichts als die Kehrseite der Medaille ist. Er hält die Verwerfungslehre allerdings nicht für beweisnotwendig für die Erwählungslehre, meint aber, dass unter ausreichender Beweisführung die Lehre von der Verwerfung logisch aus ihr folgt. Da uns die Schrift weitaus mehr Hinweise darauf gibt, wie Gott den Glauben und die Umkehr in den Erwählten bewirkt, als dass sie uns beschreibt, wie Gott mit denen verfährt, die in ihrer Unbußfertigkeit und ihrem Unglauben verharren, verlangt es die Vernunft, zuerst die Lehre der Erwählung zu untersuchen und erst im Anschluss daran zu sehen, was es mit der Verwerfung auf sich hat. Das Insistieren des Arminianismus auf der Lehre von der Verwerfung offenbart aber nur seine mangelnde Fairness. Wie schon gesagt, ist es zugegebenermaßen keine erfreuliche Lehre. Der Calvinismus schrickt zwar nicht davor zurück, darüber zu sprechen, doch weil diese Lehre keinerlei erfreulichen Charakter hat, findet er es auch nicht schön, darauf herumzureiten. Er ist sich der wohl bewusst, nicht über das hinausgehen zu sollen, was geschrieben steht; leider gibt es auch hier immer wieder welche, die es nicht unterlassen können, sich auf Sachverhalte einzulassen, die sich jenseits ihres Horizontes befinden.
-
Wir sind nicht verpflichtet, alles zu erklären
Wir unterliegen nicht der Verpflichtung, alle Geheimnisse zu erklären, die mit dieser Lehre zu tun haben. Wir sind nur verpflichtet, das zu lehren, was die Schrift selbst darüber sagt, und diese Lehren gegen alle möglichen Einwände zu verteidigen. »Ja, Vater, so ist es dir wohlgefällig« (Mt . 11,26; Lk 10,21) — das war für unseren Herrn eine ausreichende Theodizee, was sein Unternehmen in Bezug auf die Menschheit betrifft. Die ausreichende und einzige Antwort von Paulus an alle Vernünftler, die es nicht lassen können, zu tief in jene Geheimnisse einzudringen, ist die Aufforderung, sich in die göttliche Weisheit und Souveränität zu schicken . Treffend hat Toplady gesagt:
»Ergreife nicht die Partei jener Gegner der Lehre, mit denen es Paulus zu tun gehabt hat: ›Was verklagt er die Gottlosen denn überhaupt? Wer kann denn seinem Willen widerstehen? Wenn der Einzige, der in der Lage dazu wäre, sie zu bekehren, doch davon Abstand nimmt, wie kann er sie dann beschuldigen, wo es doch unmöglich ist, seinem Willen zu widerstehen?‹ So soll man sich mit der Antwort des Paulus zufrieden geben: ›Ja lieber Mensch, wer bist denn du, dass du mit Gott rechten willst?‹ Der Apostel lässt alles völlig von der Souveränität Gottes abhängen. Dort liegt das Geheimnis, und dort sollen wir es liegen lassen.«109109 Aus der Vorrede zu Zanchius’, Predestination.
Der Mensch kann die Gerechtigkeit Gottes nicht mit seinen Verstandeskräften beurteilen, und wir sollten uns bescheiden, auch dann noch an seine Gerechtigkeit zu glauben, wenn einiges, das er tut, für uns in Dunkelheit gehüllt bleibt. Wer glaubt, diese Lehre führe uns einen ungerechten Gott vor Augen, der glaubt dies, weil er sich weder die Bedeutung der Erbsünde noch deren Konsequenzen ausreichend vor Augen geführt hat. Er sollte seine Gedanken von falschen und vorurteilsbehafteten Ansichten reinigen, dann wird er sehen, dass die Verdammnis gerecht und natürlich ist. Ist der erste Schritt getan, sollte auch der Rest keine Schwierigkeit mehr bereiten.
Es ist sehr schwer für uns, uns zu vergegenwärtigen, dass viele unserer Mitmenschen (in manchen Fällen enge Freunde und Verwandte) vielleicht zum ewigen Gericht vorherbestimmt sind; und da sind wir geneigt, ihnen besondere Sympathie zuzuwenden. Könnten wir es unter dem Blickwinkel der Ewigkeit sehen, so sähen wir, dass diese Sympathie unverdient und unangebracht ist. Diejenigen, die letztlich verlorengehen, werden dann als das gesehen werden, was sie wirklich sind: Feinde Gottes, Feinde aller Gerechtigkeit und Liebhaber der Sünde, die keinerlei Bedürfnis nach Errettung oder gar nach dem Herrn gehabt haben. Wir fügen hinzu, dass um der Gerechtigkeit Gottes willen ja niemand zur Hölle geht, außer eben denen, die es verdienen. Wenn wir dann den Charakter derer betrachten, die an diesen Ort gelangen, so werden wir mit dem Entschluss Gottes notwendigerweise einverstanden sein. Tatsächlich hat der Arminianismus hier keine Ausflüchte mehr: er gibt ja zu, dass Gott alle Dinge voraussieht; weshalb hat er dann, wenn er es doch voraussieht, Menschen geschaffen, von denen er gewusst haben muss, dass sie ein sündiges Leben führen werden, das Evangelium ablehnen werden, ohne Umkehrbereitschaft sterben und schließlich in der Hölle landen werden? Das Problem des Arminianismus ist an dieser Stelle in der Tat wesentlich größer als das der Calvinisten, denn der Calvinismus sagt ja, dass diejenigen, die Gott so erschafft und von denen er weiß, dass sie verlorengehen werden, Nichterwählte sind, die freiwillig gesündigt haben und die die Strafe, die Gott in seiner Gerechtigkeit vorgesehen hat, zurecht erleiden. Der Arminianismus muss an dieser Stelle erklären, dass Gott absichtlich arme und elende Menschen in Existenz gerufen hat, von denen er vorauswusste, dass sie keinem guten Zweck dienen werden und sich ihre Vernichtung zuziehen werden. Sie werden in der Hölle landen, obgleich Gott selbst ernsthaft wünscht, dies möge nicht geschehen; lieber sähe er sie im Himmel. Gott muss tiefbetrübt darüber sein, dass sie gegen seinen Willen an jenen anderen Ort gelangen. Präsentiert uns eine solche Ansicht nicht einen etwas beschränkten Gott, der sich in eine solch unglückliche Lage manövriert, indem er über seine Geschöpfe derartiges Elend verhängt, wo er doch wenigstens hätte verhindern können, solch unselige Geschöpfe überhaupt erst existieren zu lassen?
Vielleicht werden einige, die die Prädestinationslehre das erste Mal hören, sich selbst für Verworfene halten und geneigt sein, mit der Entschuldigung weiterzusündigen, sie seien ja ohnehin verdammt. Aber so zu denken, heißt Gift aus einer süßen Blume zu saugen und sich selbst am Felsen der Zeit zu zerschmettern. Kein Mensch hat das Recht, sich selbst als verworfen zu verurteilen und deswegen zu verzweifeln, denn ob ein Mensch letztlich verworfen ist, weil er sich als »Ungehorsamer« herausstellen wird, kann nicht vor dem Tod der Person herausgefunden werden. Kein Unbekehrter kann in diesem Leben wissen, ob Gott ihn nicht noch bekehren und retten wird, auch wenn er sich noch keiner Anzeichen solcher Bekehrung bewusst ist. Daher hat er kein Recht, sich unter die Verworfenen zu zählen. Gott hat uns nicht mitgeteilt, wen er unter den noch Unbekehrten noch bekehren und retten wird. Schon die Gewissenspein kann das Mittel Gottes sein, mit dem er einen Menschen zu sich zieht.
Ich habe der Diskussion um die Verwerfungslehre einigen Raum zukommen lassen müssen, weil diese Lehre denen, die das calvinistische System ablehnen, ein solcher Stolperstein zu sein pflegt. Wir glauben, dass wenn diese Lehre als biblisch erwiesen werden kann, die anderen Teile des Systems leicht angenommen werden können.
« Prev | 5) Verwerfung | Next » |