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Gottes Plan

Es ist undenkbar, dass ein unendlich weiser und mächtiger Gott eine Welt erschaffen habe, ohne einen genauen Plan für sie zu haben. Da Gott unendlich ist, muss sich sein Plan auf jedes Detail erstrecken. Könnten wir die Welt in ihrem innersten Zusammenhang sehen, also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, dann würden wir auch sehen: Sie folgt einem mit exakter Präzision vorgezeichneten Kurs. Wir können die Schöpfung bis ins Kleinste und bis ins Größte untersuchen — überall werden wir Ordnung finden. Größere Körper sind aus kleineren zusammengesetzt; diese aus noch kleineren, und soweit wir das aus heutiger Sicht feststellen können, geht das bis ins Unendliche.

Selbst der Mensch, dieses vergängliche Wesen, das allerlei Irrtümern unterworfen ist, legt seinem Handeln Pläne zugrunde; wer ohne jeden Plan handelt, gilt als töricht. Bevor wir eine Reise antreten oder ein Werkstück anfertigen, setzen wir uns ein Ziel. Dann gehen wir daran, dieses Ziel, soweit wir dazu in der Lage sind, zu erreichen. Unabhängig davon, dass manche Menschen die Prädestination als Lehre bestreiten, leben wir im Alltag nach demselben Schema. Es ist, wie E. W. Smith gesagt hat: Ein kluger Mann

»denkt zuerst nach, welches Ziel er erreichen will und dann darüber, wie dieses Ziel am besten zu erreichen ist. Bevor der Architekt ein Gebäude errichtet, zeichnet er einen Plan, und diesen äußerst genau. In seinem Kopf steht das Gebäude schon fertig da, noch bevor ein einziger Stein gelegt ist. Genauso verhält es sich mit dem Händler, mit dem Anwalt, dem Bauern und allen vernünftigen und verständigen Menschen. Sie folgen funktionierenden Mustern, die sich in ihrer Vergangenheit bewährt haben. Wenn sie ihr Ziel erreicht haben, dann nach einem Plan, den sie schon davor gehabt hatten.«1717     Egbert Watson Smith, „The creed of Presbyterians“, S. 159.

Je größer unser Vorhaben, desto wichtiger ist es, dass wir einen Plan haben; all unser Bemühen müsste sonst im Sand verlaufen. Jeder, der versuchte, ein Schiff zu bauen, das auf Schienen fährt, würde für verrückt gehalten werden, genauso jeder, der eine ganze Nation regieren will, ohne Ahnung davon zu haben. Wir lernen, dass Napoleon die Russland-Invasion nach einem detaillierten Plan ausgeführt hat: Jede Division hatte ihre eigene Marschroute; sie wusste, wann sie wo sein musste, welche Ausstattung sie brauchte und wie viel Lebensmittel sie dabei haben musste etc. Wenn im Plan etwas nicht berücksichtigt war, dann war das auf die Unvollkommenheit menschlicher Klugheit und Fähigkeit zurückzuführen. Wäre Napoleons Einschätzung fehlerlos gewesen und seine Kontrolle der Ereignisse absolut, so dürften wir mit Fug und Recht behaupten, dass alle Aktionen jedes einzelnen Soldaten auf diesem Marsch geplant, oder, wie wir jetzt sagen können, ›vorherbestimmt‹ gewesen wären.

Wenn das schon vom Menschen gilt, wie viel mehr wird das dann auf Gott zutreffen!

»Ein Universum ohne planende Vorsehung«, sagt A. J. Gordon1818     Adoniram Judson Gordon (1836-1895), amerikanischer Baptistenprediger und Gründer des Gordon-College (A. d. Ü.). , »wäre so irrational und schrecklich wie ein Expresszug ohne Fahrer, der in der Dunkelheit auf einen Abgrund zuraste.«

Eine Vorstellung von Gott, der ein Universum geschaffen habe, in dem er nicht alles genau geplant hätte, ist undenkbar. Wenn die Schrift sagt, dass Gottes Vorsehung jedes Ereignis bis in das kleinste Detail beherrscht, dann lehrt sie damit auch, dass sein Plan allumfassend ist. Es gehört zu seiner Vollkommenheit, den bestmöglichen Plan entworfen zu haben. Er leitet den Verlauf der Geschichte an ihr festgesetztes Ende. Zu behaupten, dass Gott einen Plan hat, dem er folgt, bedeutet nichts anderes, als die Vorherbestimmung zu postulieren. Gottes Plan, so wie er sich uns offenbart, ist einheitlich, sagt Dabney1919     Robert Lewis Dabney (1820-1898), amerikanischer Theologe (A. d. Ü.). :

»Die Ursache zeitigt die Wirkung, und diese Wirkung wird wieder zur Ursache; die Ereignisse beeinflussen einander gegenseitig und münden in neue Ereignisse — das ganze, gigantische Ergebnis davon betrifft jedes kleinste Detail. Wie die Astronomen vermuten, würde die Vernichtung eines einzigen Planeten die Orbitalbahnen aller anderen Himmelskörper unseres Sonnensystems verändern; würde auch nur ein Detail der Geschichte ungeschehen gemacht werden können, so hätte dies Auswirkungen auf alles, was ›danach‹ geschehen ist.«2020     Dabney, Systematic Theology, S. 214.

Hätte Gott den Ablauf der Geschichte nicht vorherbestimmt, sondern müsste je noch auf die Erfüllung gewisser Bedingungen warten, dann wären seine Beschlüsse weder ewig noch unveränderlich. Wir wissen aber, dass er keinen Fehler machen kann; er kann nicht von irgendwelchen unvorhergesehenen Gegebenheiten überrascht werden.

Er ist König im Himmel und regiert das All. Sein Plan muss daher jedes einzelne Ereignis in diesem Universum erfassen, jedes Detail dieser Geschichte.

Es ist leicht einzusehen, dass aufgrund dieser Gegebenheiten selbst das kleinste Detail seinen Platz in diesem Plan finden muss. Wir erinnern uns alle an gewisse »zufällige Ereignisse«, die unser Leben in der einen oder anderen Weise verändert haben. Diese Veränderungen wirken sich nachhaltig auf die weitere Geschichte aus und erzeugen neuerliche »zufällige Ereignisse«. Es heißt, dass das Geschnatter von Gänsen einst Rom gerettet habe. Ob das nun historisch stimmt oder nicht, ist für die Veranschaulichung des Gesagten irrelevant. Hätten die Gänse die Wachen nicht gewarnt und damit die Soldaten zur Verteidigung veranlasst, wäre Rom vielleicht untergegangen — die Geschichte wäre vielleicht ganz anders verlaufen.2121     Nach Livius haben die heiligen Gänse der Juno Rom 387 v. Chr. mit ihrem nächtlichen Geschnatter vor einer Invasion der Gallier bewahrt (A. d. Ü.). Hätten die Gänse geschwiegen —  wer könnte schon wissen, welche Machtkonstellationen den Planeten heute prägten oder wo die Kulturzentren heute lägen? Nur wenige Zentimeter verfehlt die Kugel einen General während der Schlacht: Sein Leben ist verschont, er kommandiert weiterhin seine Truppen, gewinnt eine entscheidende Schlacht und George Washington bleibt viele Jahre der erste Präsident der USA. Wie anders wäre die Geschichte aber verlaufen, hätte der Soldat sein Ziel nicht verfehlt? Oder das große Feuer in Chicago 1871, das mehr als die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte: Es heißt, es brach aus, weil eine Kuh eine Laterne umgestoßen hatte. Die Geschichte Chicagos wäre anders verlaufen, wenn die Kuh diese kleine Bewegung unterlassen hätte!

»Die Herrschaft des Größten schließt die Herrschaft des Kleinsten mit ein, denn es ist nicht nur so, dass große Ereignisse aus kleineren bestehen, nein; die Geschichte selbst zeigt: Die unwichtigsten Bagatellen beweisen, dass sie Dreh- und Angelpunkte für große Abweichungen im Geschichtsverlauf sein können. Der Ausdauer einer Spinne ist es zuzuschreiben, welche die Anstrengungen eines verzweifelten Mannes anspornten, der die Geschichte seiner Nation wesentlich beeinflusste. Der Gott, der den Gang der Geschichte Schottlands vorherbestimmte, hat selbst dieses kleine Insekt gelenkt, das Robert Bruce vor der Verzweiflung bewahren sollte.«2222     Egbert Watson Smith, „The Creed of Presbyterians“, S. 160.

Derlei Geschehnisse könnten freilich viele aufgezählt werden. Der Pelagianismus2323     Eine Lehre, die auf den britischen Mönch Pelagius (360-420) zurückgeht. Pelagius lehrte, die menschliche Natur sei durch die Erbsünde nicht  verdorben worden. Die menschliche Natur, von Gott geschaffen, sei keineswegs als böse anzusehen, denn dies widerspräche der guten Schöpfung Gottes. Der Mensch verfüge demnach über die Macht und Fähigkeit, von sich aus das Gute zu tun und sündlos zu bleiben, sei daher also grundsätzlich in der Lage, sich durch gute Werke selbst zu erlösen (A. d. Ü.). bestreitet, dass Gott einen solchen Plan überhaupt hat; der Arminianer sieht eine Art »Generalplan«, der aber weitgehend unspezifisch bleibt; einzig der Calvinist behauptet einen allesumfassenden und allgegenwärtigen Plan Gottes. Er erkennt: Der ewige Gott hat einen ewigen Plan, in welchem jedes einzelne Ereignis vorgezeichnet ist; er lässt Gottes Eigenschaften stehen und leugnet jegliche menschliche Beeinflussung. Die Heilige Schrift zeigt uns Gott als eine Person, die anderen Personen insofern ähnlich ist, als er nach Zwecken handelt; unähnlich dagegen, als die Ausführung seiner Pläne von Allweisheit und Allmacht getragen ist. Der Calvinist sieht das Universum als Ergebnis seiner schöpferischen Macht und als eine Präsentation seiner herrlichen Vollkommenheit. Alles, was geschieht, muss deshalb mit Seinen Zwecken exakt übereinstimmen.

In einem inspirierenden Artikel über die Prädestination sagt Dr. Benjamin Breckinridge Warfield — ich halte ihn für den bedeutendsten Theologen seit Johannes Calvin —, die Schreiber der Heiligen Schrift sahen den göttlichen Plan als

»groß genug, das ganze Universum zu umfassen und als minutiös genug, auch das kleinste Detail zu berücksichtigen; dieser Plan verwirklicht sich mit unausweichlicher Gewissheit in allem, was geschieht. … Der unendlichen Weisheit des Herrn dieser Erde gemäß fällt jedes Ereignis präzise in den Rahmen, der ihm in diesem Plan zugedacht ist; nichts, wie klein oder seltsam es auch erscheinen mag, geschieht ohne Gottes Beschluss oder ohne Passgenauigkeit hinsichtlich seiner Bestimmung in diesem göttlichen Plan. Das Ziel dieses Plans ist die Verherrlichung Gottes und der Höhepunkt seines Lobes. Die Philosophie des Alten Testamentes (und auch des Neuen Testamentes) in bezug auf das Universum gründet in der Ansicht eines absoluten Plans oder Zwecks; alles, was geplant ist, entfaltet sich zu seiner Zeit.«2424     Benjamin Breckinridge Warfield, „Biblical Doctrines“, S. 13 u. 22.

Die Existenz eines göttlichen Plans konstituiert das innerste Wesen eines folgerichtigen Theismus. Gott weiß, was seine Geschöpfe tun werden, noch bevor er beschlossen hatte, sie zu erschaffen; insofern hat er die absolute Herrschaft über das ganze System. Hätte er nur bestimmte einzelne Ereignisse vorherbestimmt, so hätte dies in der Natur und in menschlichen Angelegenheiten zur Unordnung geführt. Gott müsste ständig reorganisieren, damit er sein Ziel erreicht. Seine Weltregierung wäre ein launisches Flickwerk immer neuer Mittel; er verfolgte dann eine Art Generalplan, müsste über den Ausgang vieler Dinge jedoch zwangsläufig im Ungewissen bleiben. Niemand, der sich Gott einigermaßen richtig vorstellt, wird behaupten, Gott müsse seine Meinung über gewisse Dinge alle paar Tage ändern, damit er auf Unverhofftes richtig reagieren kann, das so ursprünglich nicht eingeplant gewesen war. Wenn die Abgeschlossenheit des göttlichen Plans geleugnet wird, hat man keinen Fixpunkt vor der Gefahr des Atheismus.

Zunächst sei gesagt: Gott musste dieses Universum nicht aus einer Notwendigkeit heraus erschaffen. Seine Handlungen sind vollkommen frei, und aus dieser Freiheit heraus erschuf er das Universum. Er hat aus einer Unzahl an Möglichkeiten den besten Plan ausgewählt. Tatsächlich hat er sich entschieden, die Welt genauso zu erschaffen, wie sie ist. Da er jedes Ereignis bis ins kleinste Detail voherweiß und kennt, hat er damit auch beschlossen, also eben vorherbestimmt, was genau geschehen soll. Seine Wahl, dass die Dinge genau so geschehen, wie sie geschehen, nennen wir Vorherbestimmung oder Prädestination.

Dieser Plan umfasst allerdings auch die Sünden der Menschen. Sie sind vorhergesehen, zugelassen und haben ihren exakten Platz. Sie sind aber kontrolliert und werden in Hinsicht auf Gottes Ehre überstimmt. Die Kreuzigung Christi, das schlimmste Verbrechen der Menschheit, hat nach der Schrift ihren exakten Platz im Plan Gottes (Apg 2,23; 4,28). Diese spezielle Art der Erlösung ist kein Schritt, zu dem sich Gott entschlossen hat, nachdem er gesehen hat, was der Mensch angerichtet hatte. Vielmehr geschieht sie »nach ewiger Vorherbestimmung, die Gott in Christus Jesus festgesetzt hat« (Eph 3,11). Petrus sagt, dass Christus als Opfer für Sünde »vorherersehen [war] vor Grundlegung der Welt« (1 Petr 1,20). Die Gläubigen »sind … auserwählt vor Grundlegung der Welt« (oder von Ewigkeit her, Eph 1,4). Wir sind gerettet, aber nicht aufgrund persönlicher Taten, »sondern aufgrund seines eigenen Vorsatzes und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor ewigen Zeiten gewährt wurde« (2 Tim 1,9). Wenn die Kreuzigung Christi oder seine Selbstaufopferung für die Sünde Bestandteil des ewigen Plans ist, dann auch der Sündenfall und alle anderen Sünden, für welche dieses Opfer nötig war, ganz abgesehen davon, wie hassenswert manche Einzelheiten dieses Plans auch sein mögen. Die Geschichte ist bis ins kleinste Detail die Entfaltung jenes ewigen Plans Gottes. Seine Beschlüsse werden nicht nach plötzlich eintretenden Gegebenheiten gefasst, sondern sind alle Teil jenes allumfassenden Plans; wir können uns nicht vorstellen, dass Gott plötzlich einen neuen Plan ausarbeitet, dessen Inhalt ihm nicht schon immer bekannt war.

Die Tatsache, dass die Heilige Schrift sagt, ein Zweck Gottes sei von einem anderen abhängig oder auch davon, was immer Menschen tun, ist kein Einwand gegen diese Lehre. Die Heilige Schrift ist in der Alltagssprache des Menschen verfasst, und hier spricht man oft, wie die Dinge erscheinen, nicht wie sie wirklich sind. Die Bibel spricht von den »vier Enden der Erde«, (Jes 12,12) und von »der Gründung der Erde« (Ps 104,5). Niemand denkt deswegen, die Erde sei eine Scheibe oder ruhe auf einem buchstäblichen Fundament. Wir sprechen von der auf- und untergehenden Sonne und meinen das nicht wörtlich, sondern beschreiben einfach, was wir mit eigenen Augen sehen.

Genauso spricht Gott auch davon, dass er etwas bereut, und dennoch meint niemand mit der rechten Vorstellung von Gott, dass er einen Irrtum bereue. Es bedeutet einfach, dass seine Handlungen menschlich interpretiert werden. Gott bereut aus dieser Sicht, wie ein Mensch es tut. An anderen Stellen spricht die Schrift von den Händen, Armen oder Augen Gottes. Diese Beschreibungen nennen wir »Anthropomorphismen«, Beispiele, in denen Gott dem Menschen ähnlich gezeichnet wird. Wird das Wort »bereuen« im wahren Sinn gebraucht, so wird gesagt, dass Gott niemals bereut: »Gott ist kein Mensch, dass er lüge oder der Sohn eines Menschen, dass er etwas bereuen müsste« (4 Mo 23,19). An einer anderen Stelle steht: »Israels Stärke lügt nicht, es reut ihn auch nicht; denn er ist kein Mensch, dass er etwas bereuen müsste« (1 Sam 15,29).

Die Betrachtung dieses großartigen Plans muss zum Preise seiner unerforschlichen Weisheit ausschlagen und zu seiner ungeschmälerten Macht; er, der solches beschließt, führt es auch aus. Was kann einem Christen mehr Zufriedenheit und Freude schenken als die Gewissheit: Die Welt verläuft nach den genauen Plänen des himmlischen Königreiches und nach der Erscheinung der göttlichen Herrlichkeit; er ist derjenige, dem unendliche Liebe gebührt, in ihm findet man Barmherzigkeit!


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