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Einleitung

Es ist nicht Zweck dieses Buches, ein neues systematisch-theologisches Gedankengebäude zu errichten, sondern jenes große Lehrgebäude neu zu formulieren, das als »Reformierte Lehre« oder Calvinismus bekannt ist. Es wird zeigen, dass diese Lehre ohne jeden Zweifel biblisch und in sich logisch ist.

Der Prädestinationslehre kommt heute vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zu. Sie wird auch oft von ihren Bekennern nur wenig verstanden. Es ist eine Lehre, die sich in den Glaubensbekenntnissen der meisten protestantischen Kirchen findet und die auf Kirche und Staat bemerkenswerten Einfluss gehabt hat. Die offiziellen Normen der Presbyterianischen und Reformierten Kirchen in Europa und Amerika sind durch und durch calvinistisch.

Obgleich Baptisten und Kongregationalisten kein eigenes Glaubensbekenntnis formuliert haben, sind sie — soweit wir das aus den Schriften ihrer maßgeblichen Theologen beurteilen können — der calvinistischen Lehre durchwegs treu geblieben. Die „Große Freie Kirche Hollands“ und auch die meisten Kirchen Schottlands sind calvinistisch. Die »Established Church of England« und deren Tochter, die »Episcopal Church of America«, formulieren in ihren 39 Artikeln ein calvinistisches Bekenntnis. Der Whitefield-Flügel der Methodisten in Wales trägt bis heute den Namen »Calvinistische Methodisten«.

Unter den Vertretern des Calvinismus von gestern und heute befinden sich einige der größten und weisesten Männer der Kirchengeschichte. Dazu zählen Männer wie Calvin, Luther, Zwingli, Melanchthon (obgleich sich Melanchthon später zum Semi-Pelagianismus bekannte), Bullinger, Bucer und einige weitere berühmte Führer der Reformation. Waren sie in manchen Punkten verschiedener Meinung — bei der Prädestination stimmten sie alle überein und lehrten sie mit großem Nachdruck. Luthers Hauptschrift »Vom unfreien Willen« zeigt, dass er sich mit dieser Lehre mindestens ebenso auseinandersetzte wie Calvin selber. Luther demonstrierte sie sogar mit noch größerem Nachdruck als Calvin; er verteidigte sie wesentlich ausführlicher als er. Was die Konkordienformel anlangt, bekennt sich auch die Lutherische Kirche von heute noch zu einer ähnlichen Form der Prädestination. Die englischen Puritaner, die ersten Siedler Amerikas, die Convenanters in Schottland und die Hugenotten in Frankreich — sie alle waren durchwegs Calvinisten; es gebührt der Geschichtsschreibung kein Lob, dass sie diese Tatsache hat weitgehend unerwähnt lassen. Sogar die römisch-katholische Kirche hat eine Zeitlang an die Prädestination geglaubt; zu keiner Zeit11     Diese Schrift ist 1932 entstanden; A. d. Ü hat sie sich öffentlich davon distanziert. Augustinus’ Lehre von der Prädestination brachte alle halbherzigen Elemente der Kirche gegen ihn auf und machte ihm viele Feinde unter denen, die auf die Schmälerung der Souveränität Gottes aus waren. Augustinus sollte den Sieg davontragen, und so wurde die Prädestinationslehre von der Kirche anerkannt. Die meisten Bekenntnisse der Kirche enthalten die Lehren von der Erwählung, der Prädestination und des Beharrens der Heiligen22     Der Ausdruck »Beharren der Heiligen« bedeutet, dass echte Kinder Gottes nicht wieder verlorengehen können; A. d. Ü. , wie jeder, der sich auch nur oberflächlichem Studium dieser Sache hingibt, bestätigt finden wird.

Jahrhundertelang fristete die Irrlehre des Arminianismus33     Die Grundlehren des Arminianismus, die heute vielfach in die gängige evangelikale Theologie eingedrungen sind, lassen sich in etwa so zusammenfassen:
   Bedingte Erwählung: Gott hat beschlossen, durch Jesus Christus diejenigen aus der sündigen Menschheit zu erretten, die durch die Gnade des heiligen Geistes an Christus glauben, aber Gott lässt die Unbelehrbaren und die Ungläubigen in der Sünde.

   Heilsuniversalismus: Christus ist für alle Menschen gestorben, aber Gott erwählt nur diejenigen, die an Christus glauben.

   Freier Wille trotz Erbsünde: Freier Wille ist der natürliche Zustand des Menschen, kein geistiges Geschenk — der freie Wille ist durch die Erbsünde nicht verlorengegangen. Die Gnade Christi arbeitet in allen Menschen, um sie zum Guten zu beeinflussen. Aber nur diejenigen, die mit der Gnade durch Glaube und Reue einverstanden sind, bekommen neue geistliche Kraft, um das Gute zu verwirklichen, welches sie anderenfalls nur beabsichtigen, nicht aber verwirklichen könnten.

   Ablehnbare Gnade: Die Gnade Gottes wirkt für das Gute in allen Menschen und schafft Erneuerung des Lebens durch den Glauben. Aber die Gnade kann abgelehnt werden, sogar von denen, die zu einem neuen Leben im Glauben gelangt sind.

   Verlierbarkeit des Heils: Diejenigen, die durch den wahren Glauben mit Christus vereinigt sind, haben durch die Gnade des Heiligen Geistes zwar die Kraft, im Glauben beständig zu bleiben. Der Gläubige kann aber — wenngleich dies auch nicht so ohne weiteres geschehen möchte — wieder abfallen.
ihr Dasein nur in den Außenbezirken des wahren Glaubens. Erst im Jahre 1784 wurde er erstmalig von einer christlichen Organisation verfochten. Der Arminianismus wurde dem Lehrsystem der Methodisten Englands einverleibt. Die großen Theologen der Geschichte: Augustinus, Wycliff, Luther, Calvin, Zwingli, Zanchius, Owen, Whitefield, Toplady und in letzter Zeit Hodge, Dabney, Cunningham, Smith, Shedd, Warfield und Kuyper haben sich für die Prädestinationslehre stark gemacht. Dass diese Lehrer die Lichter und Glanzpunkte des reinsten Christentums waren, wird unter Protestanten nicht bestritten. Auch wenn wir außer Acht lassen, dass Nichtchristen wie die vielen Millionen Moslems an die eine oder andere Form der Vorherbestimmung glauben und so dem Fatalismus in vielen Ländern den Weg bereiteten; dass mechanistische und deterministische Philosophien großen Einfluss auf England, Deutschland und Amerika ausgeübt haben — diese Lehre ist einer eingehenden Betrachtung wert.

Von der Zeit der Reformation bis etwa 1830 hat die große Mehrheit der protestantischen Lehrer die Lehren [der Reformation] verfochten. Heute trifft man fast nur mehr auf andere Lehrgebäude. Einen rückhaltlosen Calvinismus trifft man heutzutage nur noch selten an. Es passt, was Toplady  über die »Church of England« gesagt hat:

»Es gab eine Zeit, in welcher die calvinistische Lehre als Palladium unserer ›Established Church‹ angesehen und verteidigt worden ist: Bischöfe und Geistliche, Universitäten und das ganze Korpus der Anwälte haben sie vertreten. Während der Regierung Edwards VI, Königin Elisabeths, James’ I. und während der meisten Zeit Charles’ I. war es ebenso schwer, einen Geistlichen zu treffen, der diese Lehren der Kirche Englands nicht vertreten hätte, wie es heute schwer ist, jemanden zu treffen, der es noch tut. Wir haben die Prinzipien der Reformation verlassen, und seither steht ›Ikabod‹ oder ›Die Herrlichkeit ist gegangen‹ auf den meisten unserer Kanzeln und Kirchentüren geschrieben.«44     Aus dem Vorwort von Zanchius’ „Predestination“, S. 16

Unser aufgeklärtes Zeitalter tendiert dazu, den Calvinismus als abgetragenes und veraltetes Kleid zu betrachten. Zu Beginn seines ausgezeichneten Artikels »Der reformierte Glaube in der modernen Welt« sagt Prof. F. E. Hamilton:

»Die große Mehrzahl der Mitglieder der Presbyterianischen Kirche scheint heute stillschweigend anzunehmen, der Calvinismus sei aus den christlichen Kreisen verschwunden. Tatsächlich betrachten das durchschnittliche Gemeindemitglied wie auch der Verkünder des Evangeliums jeden, der sich zu der Lehre der Prädestination bekennt, mit gutmütig-lächelnder Toleranz. Es scheint ihnen seltsam und unglaubwürdig, dass es heute noch, in aufgeklärter Zeit, solche Geisteskuriositäten wie den echten Calvinismus geben könne. Die Argumente der Calvinisten genau zu überprüfen, kommt ihnen nicht in den Sinn. Der Calvinismus wird für etwas Veraltetes gehalten wie die Inquisition oder die Schöpfungsgeschichte. Man reiht ihn unter die seltsamen Gedankengebäude ein, an die man vor dem Zeitalter der Wissenschaft geglaubt hatte. Wegen dieser Haltung zum Calvinismus und wegen der völligen Unwissenheit über die Lehren der Reformation halte ich das Thema dieses Buches für überaus wichtig.«

Die logische und durchdachte Ausarbeitung dieser Lehren geht auf Calvin zurück und trägt deshalb seinen Namen. Calvin war zwar keineswegs der Begründer des Calvinismus; er bemühte sich aber, das in Worte zu fassen, was ihm als klare und helle Lehre der heiligen Schrift galt. Das Wesen dieses Systems hatte schon Augustinus gelehrt, mehr als tausend Jahre vor Calvins Geburt, und die Gesamtheit der Führer der Reformation teilte die Ansicht über diese Lehre. Es war Calvin und seiner profunden Kenntnis der Heiligen Schrift vorbehalten, mit scharfem Verstand und systematischem Geist diese Wahrheiten aufzurichten und zu verteidigen, wie es vor ihm noch niemand gelungen war.

Wir nennen dieses Lehrgebäude »Calvinismus« und verstehen diesen Titel als Ehrennamen; Wörter jedoch sind hier nur Bequemlichkeiten. Warburton sagte einmal:

»Wir könnten genauso passend die Gravitation ›Newtonismus‹ nennen, weil es der große Wissenschaftler Newton war, der die Prinzipien der Schwerkraft das erste Mal demonstriert hat. Die Menschen waren schon lange vor Newton mit der Schwerkraft vertraut gewesen. Die Schwerkraft existiert seit der Schöpfung und ist eines der grundlegenden Naturgesetze, die Gott zur Aufrechterhaltung unseres Universums eingesetzt hat. Die Prinzipien der Schwerkraft waren bis dato noch nicht erforscht; es blieb einem Sir Isaac Newton vorbehalten, die weitreichenden Auswirkungen dieser Kraft und ihres Einflusses zu zeigen. Genauso erging es dem Calvinismus: Die Prinzipien dieser Lehre existierten lange vor Calvin. Sie galten seit der Schöpfung als offensichtliche Gegebenheiten. Erst Calvin fasste diese Prinzipien in ein mehr oder weniger komplettes System oder Glaubensbekenntnis; und so bekam diese Lehre ihren Namen.«55     Warburton, „Calvinism“, S. 2

Ich füge hinzu: die Bezeichnungen »Calvinisten«, »Lutheraner«, »Puritaner«, »Pilgerväter«, »Methodisten«, »Baptisten«, ja sogar der Name »Christen« — das waren ursprünglich Spottnamen. Der Gebrauch hat die Gültigkeit festgelegt, und man versteht heute genau, was die einzelnen Bezeichnungen meinen.

Der Grund für die große Kraft der Verkündigung Calvins war seine Nähe zur Heiligen Schrift als inspiriertem und normativem Buch. Man hielt ihn für den hervorragendsten Theologen seiner Zeit. Wo immer die Bibel hinzeigte, folgte er nach, und wo die Bibel Einwände erhob, ließ er sich zügeln. Die Ablehnung, weiter zu gehen, als die Schrift es erlaubte, zusammen mit der Bereitschaft, ihr in allem zu folgen, gab seinen Lehraussagen einen Hauch von Letztgültigkeit und Hartnäckigkeit, die seine Gegner zur Offensive reizte. Wegen seiner scharfsinnigen Einsichten und wegen seiner Fähigkeit zur logischen Gedankenführung ist er oft als theologischer Theoretiker beachtet worden. Es kann freilich nicht geleugnet werden, dass er ein spekulativer Genius war; seine Feinde fürchteten die Waffe seiner logischen Analysen. Aber nicht diese Gaben waren es, die ihn sein theologisches Gedankensystem entwickeln ließen.

Calvins reger und scharfsinniger Verstand ließ ihn alles, was er untersuchte, aufs Gründlichste ausloten. In seiner Untersuchung über Gott und dessen Heilsplan ging er so weit, dass die Tiefe der Untersuchung dem durchschnittlichen Christen gewiss nicht leichtfällt. Er brachte Seiten der Schrift ans Licht, die bis dahin eher im Dunkeln geblieben waren und drängte zur Betrachtung tiefer Wahrheiten, die im Vorfeld der Reformation der Kirche weitgehend unbeachtet geblieben waren. Er brachte vergessene Lehren Paulus’ zu Tage und stärkte sie in ihrem Vollsinn in einem großen Teil der Kirche.

Die Prädestinationslehre hat von allen Lehren der Heiligen Schrift den vielleicht größten Sturm des Widerstands hervorgerufen, und wohl kaum eine Lehre ist so sehr missverstanden und karikiert worden wie sie. Warburton sagt:

»Sie vor manchen Leuten auch nur zu erwähnen, ist, wie wenn man die sprichwörtliche rote Flagge vor einem wild gewordenen Stier zu schwenken beginnt. Sie erregt die feurigsten Leidenschaften der Natur und mündet in einen Sturzbach von Missbrauch und Verleumdung. Aber der Umstand, dass sie bekämpft, gehasst oder missverstanden wird, birgt keinen vernünftigen oder logischen Grund, weshalb wir diese Lehre vergessen oder gar verwerfen sollten. Die richtige, ja, überaus wichtige Frage ist nicht: Wie wird diese Lehre aufgenommen oder verstanden, sondern: Entspricht sie der Wahrheit?«66     Warburton, „Calvinism“, S. 23

Ein Grund, weshalb auch viele gebildete Leute diese Lehre sofort verwerfen, besteht ganz einfach in dem Umstand, dass sie keine Ahnung haben, was diese Lehre genau besagt und was die Bibel dazu lehrt. Dieser Umstand ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, wie nachlässig das heutige Bibelstudium geworden ist. Ein sorgfältiges Studium der Bibel würde viele Menschen davon überzeugen, dass dieses Buch ganz anderer Natur ist, als sie es bisher eingeschätzt haben. Der gewaltige Einfluss, den diese Lehre in der Geschichte Englands und Amerikas gehabt hat, sollte ihr eine respektvolle Zuhörerschaft sichern. Weiter urteilen wir: Niemand ist berechtigt, die Wahrheit dieser Lehre zu verwerfen, bevor er nicht vorurteilsfrei und genau die Zeugen und Belege auf beiden Seiten studiert hat. Diese Lehre behandelt einige der wichtigsten Wahrheiten, wie sie die Heilige Schrift offenbart; ihr ausgiebiges Studium wird sich jedem Christen reichlich bezahlt machen. Wer sie verwirft, ohne vorher genauestens untersucht zu haben, was diese Lehre behauptet, der sollte wenigstens nicht vergessen, dass sie den festen Glauben unzähliger der weisesten und klügsten Männer, die je gelebt haben, geleitet hat, und dass diese Männer daher feste Gründe gehabt haben müssen, an sie zu glauben.

An dieser Stelle sind einige vorsichtige Worte angebracht: Obwohl diese Lehre eine großartige und gesegnete biblische Wahrheit und grundlegende Lehre vieler Denominationen ist, darf sie nicht als Summe und Substanz des reformierten Glaubens angesehen werden. Dr. Kuyper hat gesagt:

»Es ist falsch, den spezifischen Charakter des Calvinismus in der Prädestinationslehre oder in der Autorität der Schrift sehen zu wollen. Diese Dinge sind nicht Ausgangsposition, sondern nur logische Konsequenz. Es ist das Blattwerk, was von luxuriöser Größe zeugt, nicht die Wurzel, der es entsprießt. Wenn die Lehre von ihrer natürlichen Verbindung mit anderen Wahrheiten gelöst und ohne diese Wahrheiten präsentiert wird, wirkt sie übersteigert und übertrieben. So wirkt das System verzerrt und wird missverstanden. Jede Darstellung eines Systems muss in seiner Ordnung präsentiert werden; die anderen Grundaussagen desselben Systems müssen mit dieser Darstellung übereinstimmen, sonst kann ihr Wahrheitsgehalt nicht richtig erkannt werden. Das Westminster-Bekenntnis bietet eine ausgewogene Darstellung des gesamten Systems; es zeigt die rechtmäßige Bedeutung auch der anderen Lehrpunkte, so etwa der Lehre von der Trinität, von der Göttlichkeit Christi, der Personalität des Heiligen Geistes, der Inspiration der heiligen Schrift, der Wunder, der Erlösung, der Auferstehung, der Wiederkunft Christi usw. Wir verleugnen auch an keiner Stelle, dass der Arminianismus viele und wichtige Wahrheiten lehrt. Aber wir behaupten: eine vollständige systematische Darstellung des christlichen Glaubens kann nur auf der Basis der Wahrheit, wie sie der Calvinismus darstellt, gegeben werden.«

Viele Leute glauben, Prädestination und Calvinismus seien austauschbare Begriffe. Das ist indes unrichtig; auch die zu enge Verknüpfung der beiden Begriffe hat zweifellos viel zum Vorurteil beigetragen, mit dem viele Menschen dem Calvinismus begegnen. Das trifft auch auf die zu enge Verquickung des Calvinismus mit den »Fünf Punkten« zu, was später noch zu zeigen sein wird. Während Prädestination und »Fünf Punkte« wesentliche Elemente des Calvinismus sind, machen sie keineswegs das ganze System aus.

Die Prädestinationslehre ist Thema unzähliger Kontroversen geworden, zugegebenermaßen meistens zu dem Zweck, sie abzuschwächen oder gar wegzuerklären. So sagt Cunningham:

»Die Betrachtung dieser großartigen Lehre läuft auf das Hintergründigste und Unerreichbarste hinaus, über das der Mensch nachdenken kann — über die Natur, die Eigenschaften, die Zwecke und Handlungsweisen des unendlichen und verborgenen Jahwe, gesehen unter dem Blickwinkel des ewigen Schicksals Seiner vernunftbegabten Geschöpfe. Die Eigenart dieser Lehre verlangt aus gutem Grund, dass man sich ihr in aller gebotenen Demut, Ehrfurcht und Behutsamkeit nähert, da sie uns mit einer Sache in Kontakt bringt, die entsetzlich und überwältigend ist: mit dem ewigen Elend einer unzählbaren Schar unserer Mitmenschen. Viele Männer haben dieses Thema auch in diesem Geiste disputiert, viele andere jedoch haben sich in ehrfurchtsloser Weise vielerlei Vermutungen und respektlosen Spekulationen hingegeben. Vielleicht gibt es kein Thema, das verständige Menschen aller Zeiten so sehr in Beschlag genommen hat wie dieses. Es ist in aller Hinsicht ausführlich diskutiert worden: in philosophischer, theologischer und auch in praktischer Hinsicht, und wenn es eine Sache gibt, von der wir sicher behaupten können, sie sei erschöpfend behandelt worden, dann diese. Zumindest einige der Themen, die unter diese Überschrift fallen, sind von allen einigermaßen bekannten Philosophen der Antike bis zur Gegenwart betrachtet worden. Aller Einfallsreichtum, alle Fähigkeit und jegliche Feinsinnigkeit sind in Anschlag gebracht worden, diese Sache zu diskutieren; die Schwierigkeiten allerdings, die damit einhergehen, sind freilich niemals ganz gelöst worden. Wir können mit Sicherheit behaupten, dass dies auch niemals erreicht werden kann, wenn uns Gott nicht entweder mehr davon offenbart oder unser Verständnis erweitert, aber vielleicht ist es richtiger zu sagen: Ein endlicher Geist wird dieses Phänomen niemals ganz begreifen, da es in der Natur der Sache liegt; könnte er das nämlich, dann hieße das nichts anderes, als dass er den unendlichen Geist selbst begriffen hätte.«77     Cunningham, Historical Theology, Bd. 2, S. 418-419.

Dieses Buch macht Gebrauch von vielen anderen Büchern, so dass darin die Quintessenz dessen zusammengetragen ist, was die besten Autoren über dieses Thema geschrieben haben. Es finden sich hier viele Argumente von Männern, die größeren Geistes waren als der Schreiber dieser Zeilen. Tatsächlich ist er geneigt, mit einem bekannten französischen Schriftsteller zu sagen: »Ich habe einen Strauß verschiedenster Blumen aus vielerlei Gärten gebunden; ich selbst habe nur den Bindfaden angebracht.« Und doch habe ich vieles selbst verfasst, etwa die Organisation und das ganze Arrangement der zusammengetragenen Materialien.

Das ganze Buch hindurch werden die Bezeichnungen »Prädestination« und »Vorherbestimmung« synonym gebraucht; wann der eine Begriff verwendet wird und wann der andere, bestimmt allein der Geschmack des Verfassers. Wenn man eine Unterscheidung will, dann könnte man sagen: Das Wort »Vorherbestimmung« wird immer dann verwendet, wenn es die Geschichte oder die Natur bezeichnet, während die Bezeichnung »Prädestination« immer dann gebraucht wird, wenn es um das ewige Schicksal der Menschen geht.

Folgenden Personen wünscht der Autor zu danken: Dr. Samuel G. Craig, dem Herausgeber von »Christianity Today«, Dr. Frank H. Stevenson, dem Präsidenten des »Board of Trustees of Westminster Theological Seminary«, Dr. Cornelius Van Til, Professor für Apologetik am Wesminster Theological Seminar, Dr. Charles W. Hodge, Professor für systematische Theologie am Princeton Theological Seminary — unter seiner Aufsicht war dieses Material ursprünglich in Kurzfassung verfügbar. Weiters danke ich Pfr. Henry Atherton, Generalsekretär der Souvereign Grace Union in London (England) für seine tätige Mithilfe.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Dieses Buch soll dazu dienen, den reformierten Glauben, der unter dem Namen »Calvinismus« bekannt ist, darzustellen und zu verteidigen. Das Buch richtet sich nicht gegen irgendeine Denomination, sehr wohl aber gegen den Arminianismus im Allgemeinen. Ich bin Mitglied der Presbyterianischen Kirche in den USA und weiß wohl Bescheid über den radikalen Bruch dieser Glaubensrichtung von ihrem Bekenntnis. Das Buch ist in der Hoffnung verfasst worden, all jenen, die sich an die Lehren der Reformation halten, ein besseres Verständnis für die großen Wahrheiten dieses Glaubens zu vermitteln und ihnen ihr Erbe wertvoller zu machen. Denen, die dieses Glaubenssystem nicht kennen oder es gar bekämpfen, will es diese Wahrheit näher bringen und dazu führen, dass sie es lieben lernen.

Die Frage, die uns zunächst beschäftigen muss, ist folgende: Hat Gott von aller Ewigkeit den Weltlauf vorherbestimmt? Und wenn dem so ist: Welche Beweise haben wir hierfür? Wie ist die menschliche Handlungsfreiheit mit der Vollkommenheit Gottes zu vereinbaren?


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